Europarat: Deutschland bekämpft Armut zu wenig

Nach Ansicht des Europarats muss Deutschland bei der Bekämpfung von Armut, Wohnungsnot und Ausgrenzung behinderter Menschen deutlich mehr tun. Das hohe Maß an Armut und sozialer Benachteiligung stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes, heißt es in einem aktuellen Bericht. Besonders alarmierend sei die große Zahl an Kindern, die in Armut leben.

Soziale Rechte würden in Deutschland nicht immer als rechtsverbindliche Verpflichtung betrachtet, sondern seien abhängig von den Ressourcen, kritisiert die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, in ihrem Bericht. Häufig verhinderten strukturelle und generationsübergreifende Benachteiligung und Ausgrenzung den Zugang zu sozialen Rechten.
Die Kommissarin kritisiert zudem Narrative im politischen Diskurs sowie in den Medien, die Menschen in Armut eigenes Versagen und Trägheit als Ursache ihrer Situation vorwerfen. Sie fordert Deutschland auf, die Höhe der Sozialleistungen an das aktuelle Preisniveau und die tatsächlichen Bedarfe anzupassen. die Antragsverfahren müssten vereinfacht und Antragsberechtigte umfassender informiert werden.

Besorgniserregend sei die hohe Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland, vor allem die hohe Zahl der Familien und jungen Menschen. Die Kommissarin fordert die Bundesregierung auf, den Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit zügig zu verabschieden und dringend mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, auch mit Eingriffen in den Wohnungsmarkt. Dringenden Handlungsbedarf sieht die Menschenrechtskommissarin bei der Verwirklichung der Rechte von Kindern und Jugendlichen. Das Kindeswohl stünde bei Behörden und öffentlichen Einrichtungen oftmals nicht im Fokus, eine Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz stehe weiterhin aus, nur wenige Bundesländer hätten eine Kinderbeauftragte und es fehle weiterhin an einer entsprechenden Stelle auf Bundesebene.

Es brauche „entschlossene Schritte, um den Kreislauf der Kinderarmut“ zu durchbrechen, heißt es in dem Bericht. Auch müssten die Kinderrechte gestärkt und etwa mit einer zentralen Behörde koordiniert werden, weil sonst die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bei politischen Entscheidungen übersehen würden - wie beispielsweise während der Corona-Pandemie.

Bei Inklusion und Teilhabe gibt es noch viel Nachholbedarf

Bezüglich der Inklusion von Menschen mit Behinderungen sieht die Menschenrechtskommissarin nur sehr begrenzte Fortschritte. Ein unabhängiges Leben in der Gemeinschaft sei für viele Menschen mit Behinderungen weit entfernt. Sie müssten nach wie vor in Sonderstrukturen lernen, arbeiten und leben – sei dies in Sonderschulen, Werkstätten oder Wohnreinrichtungen.
Der Europarat wurde 1949 gegründet. Ihm gehören 46 europäische Staaten an. Die Experten besuchten Deutschland im November 2023 und führten Gespräche mit staatlichen Akteuren, Zivilgesellschaft und Betroffenen.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte erklärt anlässlich des Länderberichts: „Der Bericht verdeutlicht: Soziale Rechte werden in Deutschland oft nicht als Grund- und Menschenrechte angesehen, die der Staat verwirklichen muss. Das betrifft unter anderem das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, das Recht auf Bildung oder das Recht auf Wohnen. Hier besteht noch sehr viel Handlungsbedarf. Der Bericht der Menschenrechtskommissarin ist eine wichtige Grundlage für die Politik, soziale Ungleichheit in Deutschland zu vermindern.“

Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte; ots