Erstattungszahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz

In einem Urteil vom 10. Mai 2021 hat sich das VG Koblenz mit Erstattungsansprüchen von Arbeitgebern beschäftigt, die entstehen können, wenn sich Arbeitnehmer in eine behördlich angeordnete Absonderung begeben.

Nach der Entscheidung kommt eine Erstattung im Sinne von § 56 Absatz 5 IfSG nur in Betracht, wenn § 616 Satz BGB arbeits- oder tarifvertraglich abbedungen wurde, unbefristete Beschäftigungsverhältnisse erst kürzer als ein Jahr andauern oder das Arbeits- bzw. Dienstverhältnis von vornherein auf unter ein Jahr befristet ist.

Andernfalls sei § 616 BGB grundsätzlich einschlägig, was zur Folge habe, dass für § 56 Absatz 1 IfSG kein Raum verbleibt. Soweit sich diese Rechtsauffassung durchsetzt, haben Arbeitgeber in diesen Fällen kein subjektives Recht auf Erstattung der von ihnen an Arbeitnehmer geleisteten Entschädigungszahlungen und Sozialversicherungsbeiträge.

Maßgebliche Regelungen aus dem Infektionsschutzgesetz

In § 30 IfSG ist vorgesehen, dass eine Absonderung von Personen angeordnet werden kann, wenn der Verdacht besteht, dass von ihnen die Gefahr einer Ansteckung ausgeht.

Wer hierdurch einem Verbot in der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit unterliegt und folglich einen Verdienstausfall erleidet, erhält nach § 56 Absatz 1 IfSG eine Entschädigung in Geld. Diese leistet bei Arbeitnehmern gemäß Absatz 5 der Arbeitgeber und bekommt sie auf Antrag erstattet. Hiervon sind nach Maßgabe von § 57 Absatz 1 IfSG auch Sozialversicherungsbeiträge betroffen. 

Verdienstausfall ist im IfSG allerdings nicht näher bestimmt

Unter welchen Voraussetzungen ein Verdienstausfall dem Grunde nach anzunehmen ist, habe der Gesetzgeber im Infektionsschutzgesetz allerdings nicht näher definiert, wie das VG Koblenz darlegt. Ein Verdienstausfall liege jedenfalls nicht vor, wenn dem Arbeitnehmer trotz Verhinderung an der Ausübung seiner Tätigkeit gegen den Arbeitgeber ein Lohnfortzahlungsanspruch zusteht. Ein solcher Lohnfortzahlungsanspruch folgt zumeist aus § 616 Satz 1 BGB.

Vorübergehende Verhinderung im Sinne von § 616 BGB

§ 616 Satz 1 BGB sieht vor, dass ein zur Dienstleistung Verpflichteter seines Anspruchs auf Vergütung nicht dadurch verlustig wird, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung gehindert wird.

In dem Rechtsstreit zwischen dem Arbeitgeber und der Behörde, stellte das VG Koblenz fest, dass die Lohnfortzahlung aus § 616 Satz 1 BGB nicht per Arbeitsvertrag abbedungen war. Überdies seien die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 616 Satz 1 BGB erfüllt gewesen.

Bestimmung des Zeitraums

Bei einer Beschäftigungsdauer von mindestens einem Jahr sei eine höchstens vierzehn Tage andauernde Arbeitsverhinderung infolge einer Absonderung grundsätzlich noch als nicht erhebliche Zeit im Sinne des § 616 Satz 1 BGB anzusehen.

Ergänzend zu dem Zeitraum sei zu berücksichtigen, ob die aus dem Verhältnis zwischen der Dauer des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses und der Dauer der Arbeitsverhinderung ermittelte verhältnismäßig unerhebliche Verhinderungszeit aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls wie der Eigenart der Verhinderung oder des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses rechtlich anders zu beurteilen sei, etwa weil die arbeitnehmerseitige Verhinderung aufgrund ihrer Eigenart für den Arbeitgeber unvorhersehbar war. 

Eine Absonderung aufgrund eines festgestellten Ansteckungsverdachts spreche im Ergebnis nicht gegen eine Heranziehung von § 616 Satz 1 BGB. Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, dass die Möglichkeit besteht, § 616 Satz 1 BGB arbeitsvertraglich abzubedingen, um das Risiko einer Lohnfortzahlung im Falle von Absonderungen ausschließen zu können. 

In der Person des Arbeitnehmers liegender Grund

Bei einer behördlichen Absonderungsanordnung, die aufgrund eines Ansteckungsverdachts ergangen ist, handele es sich um ein subjektives Leistungshindernis. 

„Zwar besteht während einer Pandemie die nicht fernliegende Wahrscheinlichkeit, „Corona-ansteckungsverdächtig“ und in der Folge abgesondert zu werden, für eine Vielzahl von Personen. Zudem zielt die Absonderung auf den Schutz der Allgemeinheit ab. Dies allein genügt für die Annahme eines objektiven Leistungshindernisses jedoch nicht. Andernfalls bestünde während einer Pandemie, die schwankende Infektionszahlen und unterschiedlich stark durchseuchte Gebiete mit sich bringen kann, erhebliche Rechtsunsicherheit, in welchem Gebiet und bei welchen Infektionszahlen wegen hoher Wahrscheinlichkeit, als ansteckungsverdächtig eingestuft zu werden, die Arbeitsverhinderung infolge einer Absonderung von einem subjektiven zu einem objektiven Leistungshindernis wird. Für die Abgrenzung zwischen subjektivem und objektivem Leistungshindernis kommt es daher nicht auf den Grund für die Absonderung, sondern den Grund für das Arbeitshindernis an.“

Verbleibender Anwendungsbereich von § 56 IfSG

Ferner legt das Gericht dar, dass bei zweiwöchigen Absonderungen – trotz der Regelung aus § 616 Satz 1 – ein Anwendungsbereich für § 56 IfSG verbleibt. Dieser besteht für von vornherein auf unter ein Jahr befristete Arbeits- bzw. Dienstverhältnisse bzw. für unbefristete Beschäftigungsverhältnisse, die erst kürzer als ein Jahr andauern, sowie für Fälle, in denen der Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 616 Satz 1 arbeits- bzw. tarifvertraglich abbedungen worden ist.

Darüber hinaus komme § 56 Absatz 1 und 5 IfSG dann zum Tragen, wenn ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 Satz 1 BGB nicht gegeben ist; etwa weil die Absonderungszeit erheblich länger als zwei Wochen beträgt und das Beschäftigungsverhältnis im Verhältnis dazu nicht so lange andauert, dass die Verhinderungszeit noch als verhältnismäßig unerheblich angesehen werden kann.

Quelle: VG Koblenz, Urteil vom 10.05.2021 – 3 K 107/21.KO


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