Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass Disziplinarbehörden keine Justizbehörden im Sinne des § 474 Abs. 1 StPO sind. Sie handeln im Rahmen der Verwaltungs-, nicht der Strafrechtspflege. Ein Akteneinsichtsrecht besteht nur nach strengeren Voraussetzungen.
Sachverhalt
Ein Polizeibeamter, tätig als Ausbilder an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg, war Ziel eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein und leitete die Angelegenheit zur Prüfung einer möglichen Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde weiter (§ 43 Abs. 1 OWiG).
Parallel führte das Land Baden-Württemberg ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren gegen den Beamten. Der Ermittlungsführer der Hochschule beantragte Einsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten. Die Staatsanwaltschaft gewährte diese unter Berufung auf § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 StPO i. V. m. § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1 Nr. 4 EGGVG.
Der Beamte wandte sich hiergegen mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG an das OLG Karlsruhe. Dieses wies den Antrag als unbegründet zurück und stützte das Akteneinsichtsrecht des Ermittlungsführers auf § 474 Abs. 1 StPO. Das OLG ließ die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zu.
Keine „andere Justizbehörde“ im Sinne des § 474 Abs. 1 StPO
Der BGH stellte klar, dass weder der Dienstherr eines Beamten noch der im Disziplinarverfahren handelnde Ermittlungsführer als „andere Justizbehörde“ im Sinne von § 474 Abs. 1 StPO anzusehen ist. Nach dem Wortlaut der Norm erhalten nur Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Justizbehörden Akteneinsicht, wenn dies für Zwecke der Rechtspflege erforderlich ist.
Der Begriff „Justizbehörde“ sei funktional zu verstehen, wie bereits § 23 Abs. 1 EGGVG zeige. Entscheidend sei, ob die Tätigkeit der Behörde der Rechtspflege, insbesondere der Strafrechtspflege, zuzurechnen sei. Disziplinarverfahren dienten jedoch der Verwaltungstätigkeit und der Wahrung der Dienstpflichten, nicht der Aufklärung strafrechtlicher Schuld.
Erforderlichkeit weiterer Prüfung durch das OLG
Da das OLG Karlsruhe bislang nicht geprüft hatte, ob die Voraussetzungen des § 474 Abs. 2 und 3 StPO für eine Akteneinsicht vorlagen, war die Sache nicht entscheidungsreif (§ 74 Abs. 6 S. 2 FamFG). Der BGH verwies sie daher zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.
Bundesgerichtshof vom 30. Juli 2025 (5 ARs 10/24)