Abgeordnete des Deutschen Bundestags baten im Jahr 2015 die damalige Bundesregierung um Einblicke in ein Krisenmanagement-Konzept für den Anti-Schlepper-Kampf im Mittelmeer. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt: Die Verweigerung verletzte das Grundgesetz.
Militärische Operationen im Mittelmeer
Demnach hätte die damalige CDU- und SPD-Koalition den Bundestag über das Krisenmanagement-Konzept für die mediterrane Militäroperation „EUNAVFOR MED Operation SOPHIA“ rechtzeitig informieren sollen. Denn in Art. 23 Abs. 2 des Grundgesetzes steht im Hinblick auf die EU: „In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.“
In der Tat handelte es sich um eine EU-Angelegenheit: Am 23. April 2015 kam es zu einer außerordentlichen Tagung des Europäischen Rats. Dieser erklärte, künftig die EU-Präsenz auf See zu verstärken und besser gegen Schlepper vorzugehen. Daraufhin arbeitete die damalige Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini – sie führte die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Verteidigungspolitik der EU – ein entsprechendes Krisen-Management-Konzept aus. Dieses hätten sich einige Abgeordnete des Bundestages vom Referat PE5 gerne mal angeschaut. Aber das Bundeskanzleramts-Referat „Koordinierung der Europapolitik der Bundesregierung/Europäischer Rat“ rückte es nicht heraus. Deshalb ist die Partei Bündnis 90/Die Grünen dann in der Sache vor das Bundesverfassungsgericht gezogen.
Persönliche Korrespondenz der Kanzlerin
Zudem gab es noch einen zweiten Streitpunkt zwischen einem weiteren Kläger (die Fraktion Die Linke) und der damaligen Bundesregierung: Der Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht drehte sich um ein Schreiben des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu vom 25. September 2015 an alle Staats- und Regierungschefs der EU zu dieser Zeit. Es ging unter anderem um Fragen zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und um Flüchtlingspolitik. Auf Anfrage des Bundestags-Referats PE5 teilte das Bundeskanzleramt mit, dass es sich bei dem Brief um ein persönlich an Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtetes Schreiben handele. Und: Die Korrespondenz der Bundeskanzlerin solle nicht Gegenstand der Unterrichtung des Bundestages sein.
In beiden Streitpunkten gab jetzt das Bundesverfassungsgericht den beiden klagenden Fraktionen Recht: Die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestags seien verletzt worden.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 83/2022 des Bundesverfassungsgerichts