Die Verweigerung der Einreise von Asylsuchenden an der Binnengrenze der Bundesrepublik Deutschland im Lichte des EU-Rechts

Das Verwaltungsgericht Berlin hat in Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO entschieden, dass Personen, die bei Grenzkontrollen auf deutschem Staatsgebiet ein Asylgesuch äußern, nicht einfach zurückgewiesen werden dürfen (vgl. Beschlüsse vom 2.6.2025 – VG 6 L 191/25, u. a.).

Dr. Hans-Peter Welte

Das Gericht ist der Auffassung, dass vor der Zurückweisung im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin III-VO der zuständige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags bestimmt werden muss. Nach Angaben einer Gerichtssprecherin handelt es sich um die erste gerichtliche Entscheidung zu einer Neuregelung des Bundesinnenministeriums – BMI –, dass grundsätzlich auch Asylsuchenden an der Grenze nach § 18 Abs. 2 AsylG die Einreise zu verweigern ist (vgl. § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylG, zur Aufhebung einer gegenteiligen Anordnung).

1. Rechtslage

Nach Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO behält sich jeder Mitgliedstaat das Recht vor, einen Asylantragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Asylverfahrens-RL 2013/32/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen. Der Anwendungsvorrang dieser unionsrechtlichen Regelung wird in § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylG normiert.

§ 18 AsylG differenziert zwischen Einreiseverweigerung in Absatz 2 und Zurückweisung in Absatz 3. Asylsuchenden ist in den Fällen des § 18 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AsylG die Einreise in das Bundesgebiet zu verweigern. Danach ist nach Nr. 1 dieser Bestimmung die Einreise zu verweigern, wenn der Ausländer aus einem sicheren Drittstaat i. S. v. § 26a AsylG einreisen will. Die EU-Mitgliedstaaten sind nach § 26a Abs. 2 AsylG sichere Drittstaaten.
Die Einreiseverweigerung regelt sich nach Art. 14 SGK; von dieser Maßnahme kann in den Fällen des Art. 6 Abs. 5 Buchst. c SGK etwa aus humanitären Gründen oder aufgrund internationaler Verpflichtungen abgesehen werden.

Bei der Zurückweisung nach § 15 AufenthG handelt es sich um eine nationale Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung, mit der die Einreiseverweigerung durchgesetzt werden kann. Daher handelt es sich nicht um eine Maßnahme nach dem Asylverfahrensgesetz i. S. v. § 74 AsylG. Widerspruch und Klage gegen die Zurückweisung durch die Grenzbehörde (Bundespolizei) haben nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Im Eilverfahren gegen eine Rückführungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO dürfte daher die Beschwerde gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts zulässig sein.

2. Zurückweisung von Asylsuchenden an der Binnengrenze

Die Regelung des Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO, dass sich jeder Mitgliedstaat das Recht vorbehält, einen Asylantragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Asylverfahrens-RL 2013/32/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen, ist gemäß § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylG in nationales Recht umgesetzt worden. Diesbezüglich ist daher relevant, ob die zur Vollstreckung der Einreiseverweigerung nach Art. 14 SGK erforderliche Zurückweisung nach § 15 AufenthG an der deutschen Binnengrenze bei einer nach dem Schengener Grenzkodex legalen Grenzkontrolle durch die Grenzbehörde mit den Vorgaben der Asylverfahrens-RL 2013/32/EU vereinbar ist.

Bei der Zurückweisung von Asylantragstellern i. S. v. §§ 13, 14 AsylG an der deutschen Binnengrenze ist gemäß Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO zwar das Grenzverfahren nach Art. 43 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 31 Abs. 8 Buchst. b Asylverfahrens-RL 2013/32/EU einzuhalten. Beabsichtigt der Asylantragsteller in das Bundesgebiet aus einem sicheren Drittstaat i. S. v. Art. 39 Abs. 2 Asylverfahrens-RL 2013/32/EU (z. B. Polen) einzureisen, gelten erleichterte Voraussetzungen für eine Einreiseverweigerung bei der Grenzkontrolle an der Binnengrenze.

Nach Art. 39 Abs. 1 und 2 der RL muss keine oder keine umfassende Prüfung im Grenzverfahren an der Grenze (z. B. zu Polen) erfolgen, wenn der Nachbarstaat ein sicherer europäischer Drittstaat ist. Die Prüfung kann daher nach Maßgabe des Art. 31 Abs. 8 Buchst. c Asylverfahrens-RL 2013/32/EU summarisch durch die für Zurückweisungen zuständige Grenzbehörde (§ 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) durchgeführt werden. Dies entspricht Nr. 38 der Erwägungsgründe der Richtlinie, wonach solche Verfahrensmodalitäten zum Regelungsgegenstand der Richtlinie gemacht werden.

Nach Art. 43 Abs. 2 Satz 2 Asylverfahrens-RL 2013/32/EU kann zurückgewiesenen Ausländern zugemutet werden, bis zu vier Wochen im EU-Aufenthaltsmitgliedstaat (z. B. Polen) zu verweilen, bis etwa über die Zurückweisung endgültig entschieden ist.

Fazit

Die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze ist nach Maßgabe der genannten unionsrechtlichen Vorgaben in der Asylverfahrens-RL 2013/32/EU nach Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO rechtmäßig. Dies entspricht auch der Drittstaatenreglung des Art. 16a Abs. 2 GG.

Lediglich nach der Einreise des Asylantragstellers in das Bundesgebiet, also wenn einer Zurückweisung an der Grenze nicht mehr möglich ist, ist Deutschland nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO grundsätzlich gehalten, einen Antragsteller, der sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, wieder aufzunehmen, solange das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht abgeschlossen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 26.7.2017 – C-670/16, Rn. 93).