Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat mit Urteil vom 20. August 2020 entschieden, dass die Zustellungsfiktion des § 10 Absatz 2 Satz 2 AsylG, nach der ein Asylbewerber Zustellversuche des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unter der letzten bekannten Anschrift auch dann gegen sich gelten lassen, muss, wenn diese dem BAMF nicht vom Ausländer selbst, sondern durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt ist, im Einklang mit dem Unionsrecht steht.
Der Kläger ist mehrfach umgezogen, ohne dies jeweils dem BAMF mitzuteilen. Er wurde bei der Stellung des Asylantrags 2013 darüber belehrt, dass er dem BAMF jeden Wohnungswechsel umgehend mitzuteilen hat, Mitteilungen, Ladungen und Entscheidungen immer an die letzte bekannte Anschrift übersandt werden und auch dann wirksam sind, wenn er dort nicht mehr wohnt. Dem BAMF wurde im Februar 2015 von der Ausländerbehörde die zu der Zeit aktuelle Anschrift mitgeteilt. Das BAMF lehnt den Asylantrag im August 2016 als offensichtlich unbegründet ab, als der Kläger unter der genannten Anschrift weder zur persönlichen Anhörung geladen noch ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben werden konnte. Eine tatsächliche Zustellung dieses Bescheids konnte nicht erfolgen, da der Kläger seit April 2015 nicht mehr unter der angegebenen Anschrift wohnte. Der Kläger erhob gegen den Ablehnungsbescheid Anfang 2017 Klage. Diese hatte vor dem VG Berlin und OVG Berlin-Brandenburg keinen Erfolg. Dies wurde damit begründet, dass der Kläger die einwöchige Klagefrist, die mit der Zustellung beginne, verstreichen hat lassen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dieser Begründung angeschlossen. Nach § 10 Absatz 2 Satz 2 und 4 AsylG gelte der angegriffene Bescheid mit der Aufgabe zur Post im August 2016 als zugestellt. Dass die Zustellungsfiktion auch dann greift, wenn die letzte bekannte Anschrift nicht vom Kläger selbst, sondern von einer öffentlichen Stelle mitgeteilt worden ist, stehe im Einklang mit Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe c Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie). Die mit der Zustellungsfiktion verbundenen Konsequenzen der Verletzung der für den Ausländer zumutbaren und ohne Weiteres zu erfüllenden Mitwirkungsobliegenheit, seine stete Erreichbarkeit zu gewährleisten, führten weder zu einer übermäßigen Erschwerung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf noch verstoße sie gegen das materiell-rechtliche Refoulementverbot.