Reform des Infektionsschutzgesetzes – Grundlage für Grundrechtseingriffe zur Corona-Bekämpfung

Juristisch heftig umstritten war der ursprüngliche Gesetzentwurf. Nun wurde nachgebessert und das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ ging durch das Parlament.

Mit einer neuen Ermächtigungsgrundlage im Infektionsschutzgesetz sollen die Corona-Maßnahmen abgesichert werden.

Hintergrund

Das am 1.1.2001 in Kraft getretene Infektionsschutzgesetzes (IfSG) definiert die meldepflichtigen Krankheiten und Verdachtsmomente und enthält die rechtlichen Ermächtigungsgrundlagen zur Anordnung behördlicher Maßnahmen.

Das Gesetz enthält Generalermächtigungen für Maßnahmen der zuständigen Behörde, übertragbare Krankheiten zu verhüten (§ 16 IfSG) und, deren weitere Ausbreitung durch notwendige Schutzmaßnahmen zu verhindern (§ 28 IfSG).  Die §§ 29 bis 31 IfSG spezifizieren die Maßnahmen zwar ein wenig, benennen aber nicht die im Laufe dieser Pandemie ergriffenen Maßnahmen, die mit Grundrechtseingriffen verbunden sind. Gemäß der Generalklausel des § 28 können „die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen“ treffen, „soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist“. Nach § 32 können die Landesregierungen entsprechende Gebote und Verbote als Verordnung regeln. Auf diesem Weg wurden bisher die Eindämmungsmaßnahmen erlassen.

Bisherige Generalklausel war als Grundlage umstritten

Jedoch wurden insbesondere seit dem Beschluss zum „Lockdown light“ zahlreiche Maßnahmen wie Schließungsanordnungen gerichtlich angegriffen. Richter und Verfassungsrechter hatten in der Vergangenheit regelmäßig in Frage gestellt, ob das IfSG in der aktuellen Form bestimmte weitgehende Grundrechts-Eingriffe abdecke. Zudem gab es auch Forderungen nach intensiverer Beteiligung der Länderparlamente zu Beschlussfassungen im Hinblick auf die Pandemie-Bekämpfung.

Jüngste Urteile (z.B.  VG Hamburg, Beschl. v. 10.11.2020, Az. 13 E 4550/20) hatten bescheinigt, dass die §§ 28 bis 31 IFSG keine „hinreichend konkrete Regelung“ darstellten.

Die bisherige Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG, auf den die Landesregierungen immer wieder ihre Maßnahmen gestützt hatten, komme demnach als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht. Aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs sei der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts nicht gewahrt, wonach u. a. Entscheidungen von besonderem Gewicht die Zustimmung des Parlaments brauchen. 

§ 28a IfSG als neue Grundlage

Das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ soll nun Rechtssicherheit schaffen. Die gravierendste Änderung ist ein neuer § 28a IfSG (Besondere Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2). Darin werden die möglichen Einschränkungen von Grundrechten konkretisiert, so dass „Corona-Maßnahmen“ künftig nicht mehr auf Basis einer unbestimmten Generalklausel getroffen werden müssten.

Der neue § 28a IfSG präzisiert nun in 17 Ziffern, welche konkreten Grundrechtseingriffe "im Rahmen der Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag" zulässig sein sollen.

Beachtung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Auswirkungen

Die Voraussetzungen für Verbote von Versammlungen und Gottesdiensten sowie Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverbote von Alten- und Pflegeheimen wurden im Absatz 2 konkretisiert. Diese dürfen erst in einer nächsten Stufe erlassen werden, wenn die Pandemie trotz der anderen Maßnahmen nicht eingedämmt werden kann. Ausdrücklich steht darin auch, dass einzelne Personen oder Gruppen nicht vollständig isoliert werden dürfen und ein Mindestmaß an sozialen Kontakten gewährleistet bleiben muss.

Absatz 3 legt die Sieben-Tage-Inzidenzwerte von 35 und 50 als Schwellenwerte für die Maßnahmen fest, bestimmt aber nicht, welche Einschränkung ab wann erlaubt ist.

Das reformierte IfSG sieht zudem vor, dass neue Rechtsverordnungen auf eine Geltungsdauer von vier Wochen zu befristen und mit einer allgemeinen Begründung zu versehen sind (Absatz 5).

Dieser Punkt wurde insbesondere nach der Kritik von Verfassungsrechtlern an der neuen Corona-Ermächtigung im IfSG nachgebessert. So soll der Spielraum für die Länderexekutive bei der Umsetzung der Corona-Maßnahmen eingeschränkt werden.

Absatz 6 des § 28a sind nun auch „soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen“.

Erlassen werden können die Maßnahmen, wenn eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite besteht“. Der Begriff der epidemischen Lage von nationaler Tragweite wurde definiert (§ 5 IfSG) und die Kriterien formuliert, unter denen der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen kann.

Weitere Neuregelungen, Inkrafttreten

Andere Neuregelungen betreffen die digitale Einreiseanmeldung, durch die eine bessere Nachverfolgung des Infektionsgeschehens ermöglicht werden. Künftig gibt es keinen Anspruch auf Verdienstausfall, wenn eine vermeidbare Reise in ein Risikogebiet zugrunde liegt.

Die mit dem ersten Bevölkerungsschutzgesetz im März 2020 geschaffene Entschädigungsregelung (§ 56 IfSG) für Eltern wird fortgeführt. Künftig ist bei einem unter Quarantäne gestellten Kind ebenfalls eine Entschädigungszahlung möglich.

Krankenhäuser erhalten Entschädigung, wenn sie für Corona-Behandlungen Intensivbetten freihalten müssen. Zudem werden Reha-Kliniken und Müttergenesungswerke finanziell unterstützt.

Das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz und die Änderungen im Infektionsschutzgesetz traten am 19. November in Kraft.