Seit 30 Jahren wird am 3.Dezember der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung begangen. Er soll das Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderungen stärken. Doch Inklusion und Teilhabe sind noch keine Selbstverständlichkeit in Deutschland.
Barrieren gibt es auch 2023 noch viele. Nicht nur der öffentliche Nahverkehr, auch öffentliche Einrichtungen, Verwaltungen und das Bildungssystem sind an vielen Stellen noch nicht barrierefrei. Auch fast 15 Jahre nach in Kraft treten der UN-Behindertenrechtskonvention sehen Sozialverbände und Interessensverbände deshalb in Deutschland noch zahlreiche Defizite bei der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben.
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. So steht es seit 1994 in Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Anerkennung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen können sich Menschen mit Behinderungen seit März 2009 zudem auf ein umfangreiches Regelwerk berufen. Deutschland hat sich wie viele weitere Staaten zur Umsetzung der Konvention verpflichtet. Sie definiert Behinderung als Wechselwirkung von körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen und gesellschaftlichen bzw. infrastrukturellen Hürden.
Das 2016 verabschiedete Bundesteilhabegesetz war ein erster zentraler Baustein der Umsetzung in Deutschland und soll die Teilhabe am Arbeitsleben und die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen stärken. Unter anderem ist im Bundesteilhabegesetz der Leistungskatalog der Eingliederungshilfe konkretisiert.
Barrierefreiheit Schwerpunkt dieser Wahlperiode
Seither geht es voran, aber an vielen Stellen nicht in dem Tempo, das sich die Betroffenen wünschen. So wurden erst Ende 2022 Eckpunkte der „Bundesinitiative Barrierefreiheit – Deutschland wird barrierefrei“ beschlossen. Im Fokus stehen die Themen Mobilität, Wohnen, Gesundheit und Digitales. Innerhalb der Initiative entwickelt die Bundesregierung rechtliche Regelungen weiter, um die Barrierefreiheit im öffentlichen und privaten Bereich voranzutreiben. Dafür will sie unter anderem das Behindertengleichstellungsgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz überarbeiten.
Mit einer Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wurde zudem eine EU-Richtlinie umgesetzt. Sie soll am 28. Juni 2025 in Kraft treten. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) legt fest, dass bestimmte Produkte künftig barrierefrei hergestellt und vertrieben, Dienstleistungen barrierefrei angeboten und erbracht werden müssen.
Ende 2021 lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamts 7,8 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung in Deutschland, also fast ein Zehntel (9,4 Prozent) der Gesamtbevölkerung. Als schwerbehindert gelten Personen, denen die Versorgungsämter einen Grad der Behinderung von mindestens 50 zuerkannt haben. Die meisten von ihnen haben körperliche Beeinträchtigungen. Knapp die Hälfte der schwerbehinderten Menschen war zwischen 55 und 74 Jahre alt. 90 Prozent der schweren Behinderungen wurden durch eine Krankheit verursacht, rund drei Prozent der Behinderungen waren angeboren oder traten im ersten Lebensjahr auf. Knapp ein Prozent der Behinderungen waren auf einen Unfall oder eine Berufskrankheit zurückzuführen.
Zum diesjährigen Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung hat der Sozialverband VdK die Bundesregierung aufgefordert, die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Dazu sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele, die auch neue Vorsitzende des Sprecherinnenrates des Deutschen Behindertenrates ist:
„Im Koalitionsvertrag hat die Ampel vereinbart, dass Deutschland in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens barrierefrei werden soll. Geschehen ist bisher zu wenig. Besonders bei der Mobilität, beim Wohnen, in der Gesundheitsversorgung und im digitalen Bereich ist der Nachholbedarf immens. Ganz oben auf die Agenda müssen deshalb die Reformen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG). Die Ampel muss diese Vorhaben endlich anpacken und das Problem der fehlenden Barrierefreiheit ernstnehmen und lösen.“
Der VdK fordert, dass private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen gesetzlich verpflichtet werden, ihre Angebote für Menschen mit Behinderung barrierefrei zu gestalten, wenn diese öffentlich zugänglich sind. Eine Mindestanforderung müsse sein, dass sie angemessene Vorkehrungen im Einzelfall treffen. Zudem müssten Verstöße gegen diese Verpflichtung und die Verweigerung angemessener Vorkehrungen als Diskriminierung geahndet werden.
Ein Schritt in die richtige Richtung für mehr gesellschaftliche Teilhabe war aus Sicht des VdK das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes. Doch das reiche nicht aus. „Auch ein Teil der Menschen, die bisher in Werkstätten für Menschen mit Behinderung für ein geringes Entgelt arbeiten, hat den Wunsch und das Potenzial, eine Arbeit auf dem Arbeitsmarkt auszuüben. Passgenaue Unterstützung und Begleitung würden ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen“, so Verena Bentele.
Die Diakonie Deutschland wiederum warnte anlässlich des 3. Dezember vor den Auswirkungen des Fachkräftemangels in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Diese würden immer gravierender. Laut einer Umfrage des Evangelischen Fachverbands für Teilhabe (BeB) unter Mitgliedseinrichtungen bleiben 60 Prozent der offenen Fachkräfte-Stellen länger als sechs Monate unbesetzt. Dieser Personalmangel habe nicht nur organisatorische Konsequenzen, sondern wirke sich auch auf die Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen aus. Einrichtungsplätze könnten vielfach nicht wiederbesetzt werden.
Quelle: Bundesregierung, PM VdK vom 3.12.23, PM Diakonie Deutschland 1.12.2023