Das Bundesverfassungsgericht erklärte mit heute veröffentlichtem Beschluss nahezu sämtliche A-Besoldungen des Landes Berlin für die Jahre 2008 bis 2020 für verfassungswidrig. Die Besoldung unterschritt in vielen Gruppen die Mindestbesoldung. Der Gesetzgeber muss bis zum 31. März 2027 nachbessern.
Sachverhalt
Mehrere Berliner Beamte der Besoldungsgruppen A 7 bis A 11 hatten geltend gemacht, ihre Besoldung sei nicht amtsangemessen gewesen. Nach erfolglosen Fachgerichtsverfahren legten das OVG Berlin-Brandenburg und das Bundesverwaltungsgericht dem Bundesverfassungsgericht Fragen zur Verfassungsmäßigkeit der Berliner A-Besoldung für verschiedene Jahre vor. Der Senat weitete die Prüfung auf alle Besoldungsgruppen und den Zeitraum 2008–2020 aus.
Entscheidungsgründe
Die Vorlagen waren überwiegend begründet. Das Gericht stellte eine umfassende Verletzung des Alimentationsprinzips fest.
Erweiterter Prüfungsumfang
Der Senat dehnte die Kontrolle auf sämtliche A-Besoldungsgruppen aus, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Bei Beamten könne eine verfassungswidrige Besoldung nur durch Normenkontrolle behoben werden. Auch die Anforderungen des EGMR verlangten eine wirksame Kontrolle.
Maßstab: Alimentationsprinzip
Art. 33 Abs. 5 GG verpflichtet den Dienstherrn, einen amtsangemessenen Lebensunterhalt sicherzustellen. Der Gesetzgeber habe zwar einen Gestaltungsspielraum, er sei jedoch überschritten, wenn die Besoldung evident unzureichend sei. Die bisherige prozedurale Kontrolle wurde durch eine materielle Darlegungslast ersetzt, um Beamten einen effektiv einschätzbaren Rechtsschutz zu ermöglichen.
Mindestbesoldung: Prekaritätsschwelle
Das Gericht definierte die Mindestbesoldung neu über die Prekaritätsschwelle (80 % des Median-Äquivalenzeinkommens). Wird diese unterschritten, liege bereits isoliert ein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 5 GG vor. Die Orientierung am Grundsicherungsniveau wurde aufgegeben, da Besoldung und Sozialleistungen qualitativ verschieden seien.
Fortschreibungsprüfung
Neben der Mindestbesoldung sei die jährliche Fortschreibung zu prüfen. Maßgeblich waren Tariflohn-, Nominallohn- und Verbraucherpreisindex sowie das Abstandsgebot. Abweichungen ab 5 % indizierten eine Unteralimentation. Für viele Gruppen waren mindestens zwei Parameter erfüllt, die wertende Gesamtprüfung bestätigte die Vermutung. Besonders ins Gewicht fiel die faktische „Versteinerung“ der Grundgehälter zwischen 2004 und 2010 sowie der Wegfall von Sonderzahlungen.
Keine Rechtfertigung möglich
Finanzielle Engpässe oder Haushaltskonsolidierung konnten die Unteralimentation nicht rechtfertigen; das Alimentationsprinzip sei ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums.
Ergebnis
In 57,8 % der Jahresnettobeträge wurde die Mindestbesoldung unterschritten; insgesamt waren rund 95 % der geprüften A-Besoldungen verfassungswidrig. Nur wenige höhere Besoldungsgruppen der Jahre 2016–2020 hielten der Prüfung stand. Berlin muss die Besoldung bis 2027 neu regeln.
Bundesverfassungsgericht vom 17. September 2025 (2 BvL 20/17 u. a.)