Benachteiligung schwerbehinderter Bewerber durch Mindestnote?

Das Bundesarbeitsgericht entschied am 29. April 2021, ob eine Benachteiligung von schwerbehinderten Bewerbern wegen Nichterreichens einer Mindestnote vorliegt.

Mit dem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) darüber entschieden, ob ein öffentlicher Arbeitgeber, der in seiner Stellenausschreibung als Anforderungskriterium ein bestimmtes Hochschulstudium mit einer bestimmte Mindestnote verlangt, auch einen schwerbehinderten oder einen diesem gleichgestellten Bewerber, der dieses Kriterium nicht erfüllt, einladen muss oder ob eine solche Einladung wegen offensichtlicher Ungeeignetheit des Bewerbers entbehrlich ist.

Entschädigung nach AGG?

Der schwerbehinderte Stellenbewerber war nämlich wegen Nichterreichens der geforderten Mindestnote nicht zu einem Vorstellungs¬gespräch eingeladen worden und hatte auf Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderteneigenschaft geklagt.

Ausschreibung von öffentlichem Arbeitgeber

Im konkreten Fall schrieb das Bundesamt für Verfassungsschutz (Beklagte) im Sommer 2018 mehrere Stellen als Referenten/Referentinnen aus. In der Stellenausschreibung heißt es u.a.: „Sie verfügen über ein wissenschaftliches Hochschulstudium ... der Politik-, Geschichts- oder Verwaltungswissenschaften … mit mindestens der Note ‚gut‘. Der Kläger hatte sein Studium der Fächer Politikwissenschaften, Philosophie und Deutsche Philologie mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen. Er bewarb sich innerhalb der Bewerbungsfrist unter Angabe seiner Schwerbehinderung, wurde jedoch nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Mit Mail vom 17. Juli 2018 wurde ihm mitgeteilt, dass er nicht in die engere Auswahl einbezogen worden sei.

Formale Kriterien der Stellenausschreibung nicht gegeben

Zunächst verfolgte der Kläger eine außergerichtliche Geltendmachung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, woraufhin die Beklagte mitteilte, der Kläger erfülle nicht die formalen Kriterien der Stellenausschreibung. Er habe sein Studium mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen und musste deshalb nach § 165 Satz 4 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden.

Der angeführte § 165 S. 3 und S. 4 SGB IX lautet:
"[...] Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. [...]"


§ 15 Abs. 2 AGG:
"(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre."

Anschließend verfolgte der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gerichtlich weiter. Nach seiner Meinung handle die Beklagte den Vorgaben des SGB IX und des AGG zuwider und habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Dies folge daraus, dass die Beklagte ihn entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe. Er sei auch fachlich für die Stelle geeignet gewesen. Die in § 165 Satz 4 SGB IX zugelassene Ausnahme von der Einladungspflicht gegenüber schwerbehinderten Stellenbewerbern sei eng auszulegen. Die Abschlussnote eines Studiums könne nicht als Ausschlusskriterium angesehen werden. Die Beklagte habe dieses Kriterium auch nicht während des gesamten Auswahlverfahrens beachtet.

AG und LA wiesen Klage ab, BAG: fehlende Eignung gegeben, aber Zurückweisung an LAG

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision hatte der Kläger vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Sie führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG. Nach Auffassung des BAG durfte die Klage vom Landesarbeitsgericht nicht mit der gegebenen Begründung abgewiesen werden. Zwar hat das LAG richtigerweise angenommen, dass die Beklagte berechtigt war, in der Stellenausschreibung für den von ihr geforderten Hochschulabschluss die Mindestnote „gut“ als zwingendes Auswahlkriterium zu bestimmen und dass dem Kläger angesichts dessen die fachliche Eignung für die ausgeschriebenen Stellen offensichtlich fehlte.
Allerdings wurde nicht geprüft, ob die Beklagte auch niemand anderen, der das geforderte Hochschulstudium nicht mit der Mindestnote „gut“ abgeschlossen hatte, zum Vorstellungsgespräch eingeladen bzw. eingestellt hat. Auf Basis der getroffenen Feststellungen konnte der Senat nicht entscheiden, ob die Beklagte - welche die Darlegungs- und Beweislast trifft -  die Anforderung eines bestimmten, mit der Mindestnote „gut“ abgeschlossenen Hochschulstudiums im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren konsequent angewendet hat. Dies führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.04.2021, Az. 8 AZR 279/20