Asylrecht: Selbstgestellung und Überstellungsfrist

Wegen bloßer Nichtbefolgung einer Selbstgestellungsaufforderung kann keine Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist erfolgen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. August 2021 (Aktenzeichen 1 C 26.20) entschieden, dass allein aus dem Ignorieren eines Asylantragstellers einer Aufforderung, sich zu einem bestimmten Termin zur zwangsweisen Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen EU-Mitgliedstaat einzufinden (Selbstgestellung), nicht ein „Flüchtigsein“ im Sinne der Dublin III-VO folgt. Eine Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate ist damit nicht gerechtfertigt. 

Verlängerung der Überstellungsfrist unzulässig

Nachdem sie bereits in anderen EU-Mitgliedstaaten Schutzgesuche gestellt hatten, stellten die drittstaatsangehörigen Kläger Asylanträge in Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte diese als unzulässig ab (§ 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG). Die Ausländerbehörde forderte die Kläger deshalb – teilweise nach erfolglosen Überstellungsversuchen – auf, sich zur Überstellung in den zuständigen EU-Mitgliedstaat zu einem bestimmten Termin bei der Polizeibehörde einzufinden. Mit der Begründung, dass die Kläger „flüchtig“ seien, hat das Bundesamt die Überstellungsfrist gegenüber den zuständigen Mitgliedstaaten auf 18 Monate verlängert, als sie der Aufforderung nicht Folge leisteten (Art. 29 Abs. 2 Satz 2 HS 2 Dublin III-VO). Die Vorinstanzen haben die Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamtes aufgehoben. Die Kläger seien nicht flüchtig gewesen. Daher habe die Überstellungsfrist nicht verlängert werden dürfen, so dass die Zuständigkeit für die Durchführung der Asylverfahren inzwischen wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Beklagte übergegangen sei.

Entscheidung Bundesverwaltungsgericht

Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urt. v. 19. März 2019 – C 163/17 – Jawo) ist ein Schutzsuchender „flüchtig“ im Sinne der Dublin III-VO, wenn er sich den für die Durchführung seiner Überstellung zuständigen nationalen Behörden gezielt entzieht, um die Überstellung zu vereiteln, und sein Verhalten kausal dafür ist, dass eine Überstellung tatsächlich (zeitweilig) objektiv unmöglich ist. Das Gericht hat bei der Überprüfung, ob ein Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der daran anknüpfenden behördlichen Verlängerung der Überstellungsfrist „flüchtig“ war, alle objektiv bestehenden Gründe zu berücksichtigen, auch wenn die Behörde die Verlängerungsentscheidung darauf nicht gestützt hat. Bei einer zwangsweisen Überstellung rechtfertigt allein eine Verletzung von Mitwirkungspflichten nicht die Annahme eines „Flüchtigseins“, solange der zuständigen Behörde der Aufenthalt des Antragstellers bekannt ist und die die objektive Möglichkeit einer Überstellung hat.