Table of Contents Table of Contents
Previous Page  10 / 17 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 10 / 17 Next Page
Page Background

etwa eine Schlange registriert wird –, kommt es im limbischen System nicht

zu einer sofortigen Aktivierung des Hippocampus, sondern der Amygdala,

des Mandelkerns. Dort werden Ereignisse, die wir als bedrohlich und damit

als negativ bewerten, sogar dauerhaft gespeichert. Sofort im Anschluss wird

der ganze Körper in einen Alarmzustand versetzt, vor allem bei der Aus-

schüttung des Stresshormons Adrenalin. Signalisiert dann nach Prüfung mit

den über Schlangen gespeicherten Informationen das Langzeitgedächtnis

„Moment, das ist eine harmlose, ungefährliche Blindschleiche“, beruhigt sich

das ganze System wieder.

Es macht durchaus Sinn, dass alles, was unser Wahrnehmungsvermögen

im Gehirn blitzschnell registriert, zugleich auch bewertet wird. Denn es gab

und gibt noch immer Situationen, in denen das instinktive Einschätzen das

Überleben sichert: Gefährlich oder nicht gefährlich, spontan reagieren oder

abwarten, Feind oder Freund?

Bewertungen sind jedoch nicht in Stein gemeißelt. So kann eine neue Liebe

zuerst der Traumprinz oder die Traumprinzessin sein und nach näherem Ken-

nenlernen zum größten Schuft oder zur treulosen Tomate mutieren. Geändert

hat sich meist nicht dieser Mensch, sondern wie man diese Person jetzt wahr-

nimmt und bewertet. Deshalb können schlimme Ereignisse oder Erfahrungen,

die jemand in seiner Kindheit gemacht hat, nicht völlig gelöscht werden. Sie

verblassen mit der Zeit oder können im Rahmen einer psychotherapeutischen

Behandlung so umgedeutet werden, dass der oder die Betroffene besser damit

umzugehen weiß.

2

„Bewerten“ kann also auch ein „Umdeuten“ sein.

Das bedeutet, dass alles, was man überhaupt bewusst wahrnimmt, bewer-

tet wird. Deshalb ist es naiv zu glauben, man könnte ohne Vorurteile durch

das Leben gehen. Die wahre Klugheit besteht darin, genau das zu akzeptie-

ren. So kann man sich seinen Vorurteilen stellen, sie überprüfen und gege-

benenfalls ändern. Bereits als Hans-Georg Gadamer die Hermeneutik, die

Lehre vom Auslegen und Verstehen, entwickelte, wurde vielen klar, dass alles,

was wir wahrnehmen, gefiltert wird und letztlich nur aus dem Kontext he-

raus verstanden werden kann.

Tatsachen, Fakten, Bewertungen und Meinungen

10

2

„Umdeuten bedeutet …, den begrifflichen und gefühlsmäßigen Rahmen, in dem eine Sachlage

beurteilt wird, durch einen anderen zu ersetzen, der den ‚Tatsachen‘ der Situation ebenso gut oder

sogar besser gerecht wird und dadurch ihre Gesamtbedeutung ändert.“ In: Watzlawick, Paul:

Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du gern Knoblauch essen.