etwa eine Schlange registriert wird –, kommt es im limbischen System nicht
zu einer sofortigen Aktivierung des Hippocampus, sondern der Amygdala,
des Mandelkerns. Dort werden Ereignisse, die wir als bedrohlich und damit
als negativ bewerten, sogar dauerhaft gespeichert. Sofort im Anschluss wird
der ganze Körper in einen Alarmzustand versetzt, vor allem bei der Aus-
schüttung des Stresshormons Adrenalin. Signalisiert dann nach Prüfung mit
den über Schlangen gespeicherten Informationen das Langzeitgedächtnis
„Moment, das ist eine harmlose, ungefährliche Blindschleiche“, beruhigt sich
das ganze System wieder.
Es macht durchaus Sinn, dass alles, was unser Wahrnehmungsvermögen
im Gehirn blitzschnell registriert, zugleich auch bewertet wird. Denn es gab
und gibt noch immer Situationen, in denen das instinktive Einschätzen das
Überleben sichert: Gefährlich oder nicht gefährlich, spontan reagieren oder
abwarten, Feind oder Freund?
Bewertungen sind jedoch nicht in Stein gemeißelt. So kann eine neue Liebe
zuerst der Traumprinz oder die Traumprinzessin sein und nach näherem Ken-
nenlernen zum größten Schuft oder zur treulosen Tomate mutieren. Geändert
hat sich meist nicht dieser Mensch, sondern wie man diese Person jetzt wahr-
nimmt und bewertet. Deshalb können schlimme Ereignisse oder Erfahrungen,
die jemand in seiner Kindheit gemacht hat, nicht völlig gelöscht werden. Sie
verblassen mit der Zeit oder können im Rahmen einer psychotherapeutischen
Behandlung so umgedeutet werden, dass der oder die Betroffene besser damit
umzugehen weiß.
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„Bewerten“ kann also auch ein „Umdeuten“ sein.
Das bedeutet, dass alles, was man überhaupt bewusst wahrnimmt, bewer-
tet wird. Deshalb ist es naiv zu glauben, man könnte ohne Vorurteile durch
das Leben gehen. Die wahre Klugheit besteht darin, genau das zu akzeptie-
ren. So kann man sich seinen Vorurteilen stellen, sie überprüfen und gege-
benenfalls ändern. Bereits als Hans-Georg Gadamer die Hermeneutik, die
Lehre vom Auslegen und Verstehen, entwickelte, wurde vielen klar, dass alles,
was wir wahrnehmen, gefiltert wird und letztlich nur aus dem Kontext he-
raus verstanden werden kann.
Tatsachen, Fakten, Bewertungen und Meinungen
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„Umdeuten bedeutet …, den begrifflichen und gefühlsmäßigen Rahmen, in dem eine Sachlage
beurteilt wird, durch einen anderen zu ersetzen, der den ‚Tatsachen‘ der Situation ebenso gut oder
sogar besser gerecht wird und dadurch ihre Gesamtbedeutung ändert.“ In: Watzlawick, Paul:
Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du gern Knoblauch essen.