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Prolog
„Gierig kratzt er mit einem Esslöffel in der Dose herum. Seine Wangen
sind schon ganz gerötet. Wie ein Goldgräber freut er sich über die kleinen
Erdnussbutter-Häufchen, die sich nach längerem Kratzen auf dem Esslöf-
fel bilden. Er schmiert die Erdnussbutter am Toastbrot ab und kratzt dann
weiter. Als das Toastbrot fertig geschmiert ist, fängt er es an zu essen […].
Dann scheint Adrian auf die Idee zu kommen, noch mehr Erdnussbutter
aus dem Glas zu kratzen. Kauend nimmt er sich das Glas und beginnt wie
wild darin herum zu rühren. Frau Baake stoppt ihn und sagt, er solle seine
Sachen nehmen, in seinem Zimmer zu Ende essen. Adrian wirkt sehr ent-
täuscht. Er fragt, ob er noch ein Brot mitnehmen dürfe. Frau Baake ver-
weigert ihm das jedoch. Sie sagt, sie finde, er habe genug gegessen und
außerdem habe er ja noch den Rest des Toastbrots. Adrian scheint die Zeit
hinauszögern zu wollen, indem er sich noch ein Glas Wasser einschenkt.
Frau Baake weist ihn an, den Tisch jetzt zu verlassen“.
Wohngruppe, Nähe Frankfurt am Main, 2015
(Ausschnitt aus der eigenen Untersuchung, Quellennachweis: Z174)
„Das kleine Animal schlägt zurück. Dass ihm bestimmt ist, das Gefecht zu
verlieren, hindert seine Animalität nicht daran, sich gegen den immer tie-
fer in es eindringenden Einfluss der Gesellschaft zu wehren. So wehrt es
sich zum Beispiel dagegen, dass der natürlichen Zeitlichkeit seines Orga-
nismus die Zeitstruktur der Gesellschaft auferlegt wird. Es will nicht nach
dem Glockenschlag essen und schlafen, sondern je nach dem biologischen
Drang seines Organismus. Dieser Widerstand wird im Laufe der Sozia-
lisation gebrochen, überlebt jedoch als Frustration, die sich immer dann
einstellt, wenn die Gesellschaft dem Hungrigen die Nahrung und dem
Müden den Schlaf versagt. Gesellschaftliche Existenz hängt von der un-
ausgesetzten Unterwerfung des biologischen Widerstandes beim Einzel-
nen ab, die ohne Legitimation und Institutionalisierung schwerlich gelänge.
So hat die Gesellschaft denn auch die verschiedensten Erklärungen bei der
Hand, warum ich nicht essen soll, wenn ich Hunger habe, sondern dreimal
täglich […]. Noch beim vollsozialisierten Menschen besteht eine dau-
ernde innere Dialektik zwischen Identität und biologischem Substrat […].
In dieser Dialektik produziert der Mensch Wirklichkeit – und sich selbst“.
Peter L. Berger und Thomas Luckmann 1966 (zit. n. 2016: 194 f.)