HANDBUCH TAGESGRUPPEN Pädagogische und rechtliche Grundlagen – Praxiswissen – Zukunftsimpulse Fachgruppe Tagesgruppen (Hrsg.) Sektion Deutschland der Fédération Internationale des Communautés Educatives FICE e.V. Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen IGFH
3 Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen . ............................................................................................................................................. 7 Grußwort der ehemaligen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus, MdB ..................................................................................................................................................................... 8 Einleitende Bemerkungen Fachgruppe Tagesgruppen ...................................................................................................................................... 9 Grußwort aus der IGfH-Geschäftsstelle Stefan Wedermann, Josef Koch................................................................................................................................ 13 Rahmenbedingungen und Grundlagen . ................................................................................... 15 (Kurz-)Geschichte der Tagesgruppen Hans-Anton Maier, Janick Stang ....................................................................................................................................... 16 Der Unterschied, der den Unterschied macht! Regionale Vielfalt und strukturelle Ungleichheiten in der Hilfeform Tagesgruppe Ulrike Bavendiek, Babett Schott ....................................................................................................................................... 21 Rechtliche Rahmung der Erziehung in einer Tagesgruppe Norbert Struck ..................................................................................................................................................................... 29 Die Tagesgruppe im Licht der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik Agathe Tabel, Petra Göbbels-Koch ................................................................................................................................... 36 Qualifikationen und Professionalität von Fachkräften in Tagesgruppen Matthias Moch . .................................................................................................................................................................... 52 Die „gute Tagesgruppe“: ein Ergebnis einer kontinuierlichen und systematischen Qualitätsentwicklung Joachim Merchel ................................................................................................................................................................. 60 Schutzkonzepte in Tagesgruppen – Chancen der Weiterentwicklung einer rechtebasierten Praxis Mechthild Wolff .................................................................................................................................................................... 70 Tagesgruppe als pädagogischer Ort Holger Schmidt, Marc Witzel . ............................................................................................................................................ 79 Tagesgruppe als Ort der ganzheitlichen Bildung Holger Schmidt .................................................................................................................................................................... 87 Beteiligung als Organisationskultur und -struktur Hans-Ullrich Krause ............................................................................................................................................................ 96 Beschwerdemanagement in der Tagesgruppe – konzeptionelle Hinweise Claudia Equit, Melanie Warpaul ............................................................................................................................... 102
4 Aktuelle Anforderungen und Zukunftsimpulse ............................................................... 109 Hinweise zu den nachfolgenden Beiträgen Ulrike Bavendieck ............................................................................................................................................................... 110 Partizipation in Tagesgruppen Remi Stork ............................................................................................................................................................................ 111 Praktische Orientierungshilfe zur Umsetzung von Partizipation in der Tagesgruppenarbeit nach § 32 SGB VIII Eine Orientierungshilfe der Bundesfachgruppe Tagesgruppen in der IGfH ............................................................... 118 Inklusion als Herausforderung für die Kinder- und Jugendhilfe Albrecht Rohrmann ............................................................................................................................................................. 125 Teilhabe sicherstellen! Inklusion als Auftrag für die Hilfen zur Erziehung in der Tagesgruppe nach § 32 SGB VIII Eine Orientierungshilfe der Bundesfachgruppe Tagesgruppen in der IGfH ............................................................... 133 Macht und Regeln in der Tagesgruppe Holger Schmidt .................................................................................................................................................................... 140 Adultismus – zum Machtverhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen Fabian Wagner .................................................................................................................................................................... 149 Systemische Autorität in der Tagesgruppe – Tagesgruppenarbeit beginnt bei der Haltung Bruno Flock .......................................................................................................................................................................... 154 Intersektionalität und Geschlechterreflexivität als Teil zukunftsorientierter Tagesgruppenarbeit Nicole von Langsdorff ......................................................................................................................................................... 162 Diversität in der Praxis – ein Blick auf und Reflexionsfragen für den Alltag Janick Stang ........................................................................................................................................................................ 172 Rassismus – auch ein Thema für die Tagesgruppenarbeit? Nerea González Méndez de Vigo ....................................................................................................................................... 176 We are Family! Regenbogenfamilien in der Tagesgruppenarbeit Sarah Dionisius .................................................................................................................................................................... 186 Dicke Körper. Überlegungen zur Stigmatisierung von Hochgewichtigkeit in der Jugendhilfe Lotte Rose ............................................................................................................................................................................. 193 Sexuelle Bildung in der Tagesgruppe Torsten Linke ........................................................................................................................................................................ 199 Arbeit mit Eltern in den Hilfen zur Erziehung – Arbeit mit Eltern in der Tagesgruppe Kerima Kostka ..................................................................................................................................................................... 204 Familien als Expert*innen in eigener Sache: pädagogischer Haltungswechsel in der Jugendhilfe am Beispiel der Multifamilientherapie Christian Scharfe, Petra Kiehl ........................................................................................................................................... 215
5 Digitalisierung und ihre Bedeutung für die Hilfen zur Erziehung Marc Witzel ........................................................................................................................................................................... 222 Wirkungen sozialer Dienstleistungen – Herausforderungen und Reflexionshinweise nicht nur für Tagesgruppen Dirk Michael Nüsken ........................................................................................................................................................... 229 Wirkungen von Hilfen zur Erziehung in Tagesgruppen Bruno Flock .......................................................................................................................................................................... 238 Praxis und Methoden .................................................................................................................................... 251 Qualitätsentwicklung durch gute Dokumentation – ein notwendiges Element zur fachlichen Weiterentwicklung der Arbeit Ulrike Bavendiek ................................................................................................................................................................. 252 Die Prozessphasen in der Tagesgruppenarbeit Ulrike Bavendiek, Tanja Peters ......................................................................................................................................... 258 Checkliste zum Informationsgespräch mit Sorgeberechtigten Tanja Peters, Ulrike Bavendiek ......................................................................................................................................... 264 Phasen der Arbeit in der Tagesgruppe, bezogen auf Kinder und Eltern/Sorgeberechtigte Ulrike Bavendiek, Tanja Peters ......................................................................................................................................... 267 Vorbereitungsbogen für ein Hilfeplangespräch Guntram Geske .................................................................................................................................................................... 270 Elemente der Tagesstruktur am Beispiel der heilpädagogischen Tagesgruppen der Diakonie Düsseldorf Tanja Peters, Ulrike Bavendiek ......................................................................................................................................... 272 Kleingruppen- und Einzelangebote zur individuellen Entwicklungsförderung Tanja Peters, Ulrike Bavendiek ......................................................................................................................................... 276 Tiergestützte Interventionen in Tagesgruppen Wiebke Urich, Sandra Brozio, Lea Neuls, Birgit Siemon ................................................................................................ 281 Familienfreizeiten im Rahmen der Tagesgruppenarbeit gestalten Anne-Kathrin Koch, Bruno Flock ....................................................................................................................................... 288 Ernährung – Bewegung – Stressregulation – „GUT DRAUF“ in der Tagesgruppe Anke Noack .......................................................................................................................................................................... 294 Das Abschiedsbuch Carina Otto ........................................................................................................................................................................... 296 Wir haben die Eltern gefragt … Babett Schott ....................................................................................................................................................................... 299 Patenschaft in der Tagesgruppe Löwenburg, Wuppertal Jörn Otterbach, Clara Feuerpeil ....................................................................................................................................... 304
6 Die Interessengemeinschaft „Laut sein“ der Tagesgruppen in Wuppertal stellt sich vor Martina Poell ........................................................................................................................................................................ 306 Heilpädagogische Tagesgruppe für Vorschulkinder – Möglichkeiten der Leistungsgestaltung und praktischen Umsetzung Babett Schott ....................................................................................................................................................................... 308 Heilpädagogisch-Therapeutische Tagesgruppen (HTT) im Neukirchener Erziehungsverein (NEV) Sabine Krebs-Krüger, Ralf Raber ...................................................................................................................................... 312 Medienpädagogische Arbeit in der Tagesgruppe Guntram Geske, Kevin Jansen ........................................................................................................................................... 318 Raumgestaltung in der Tagesgruppenarbeit Ulrike Bavendiek ................................................................................................................................................................. 322 SEED – Skala der emotionalen Entwicklungsdiagnostik: „das Alter der Gefühle“ Wiebke Urich ........................................................................................................................................................................ 326 Methodenteil zum Beitrag „Sexuelle Bildung in der Tagesgruppe“ Torsten Linke ........................................................................................................................................................................ 329 Die Kinderkonferenz Janick Stang ........................................................................................................................................................................ 331 Übergänge gestalten Ulrike Bavendiek ................................................................................................................................................................. 337 Beziehungsarbeit im virtuellen Raum am Beispiel der heilpädagogischen Tagesgruppen der Diakonie Düsseldorf Matthias Hainski, Carina Otto ........................................................................................................................................... 341 Die TAGEA-App – digitale Kommunikation zwischen der pädagogischen Fachkraft und Eltern/ Sorgeberechtigten Tanja Peters, Simone Taudt, Ulrike Bavendiek ............................................................................................................... 343 Abkürzungen ...................................................................................................................................................................... 346 Autor*innen ....................................................................................................................................................................... 349
8 Grußwort der ehemaligen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend a. D. Liebe Leserinnen, liebe Leser, das Ihnen vorliegende, neu konzipierte „Handbuch Tagesgruppen“ ist einmalig in Deutschland. Als einziges Werk fasst es alles Wissenswerte zusammen und greift die aktuellen gesetzlichen Grundlagen dieser Hilfeform auf. Tagesgruppen sind als präventive und niedrigschwellige Hilfe zur Erziehung kon- zipiert: Kinder und Jugendliche werden individuell unterstützt und gefördert und behalten gleichzeitig ihren Lebensmittelpunkt und ihr familiäres Umfeld. Zum Alltag der Tagesgruppenarbeit gehören darum soziales Lernen und schulische Förderung ebenso wie die Arbeit mit den Eltern. Dabei orientieren sich die pädagogischen Fachkräfte an den Bedürfnissen der jungen Menschen und ihrer Lebenswelt. Das macht ihre Arbeit pädagogisch so vielfältig und gleichzeitig anspruchsvoll. Sie erfordert Empathie und Expertise – und einen guten Blick auf die jungen Menschen und ihre Eltern. Nur so kann sie ihre präventive Wirkung entfalten. Die neue Auflage des Handbuchs vermittelt den aktuellen Kenntnisstand über die Arbeit mit Tagesgruppen. Diesen ergänzt sie mit Impulsen aus anderen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe, beschreibt Ansätze guter Praxis und diskutiert, wie sich Tagesgruppen weiterentwickeln können. Der vorliegende Band hat das Potenzial, neue Akzente für die Tagesgruppenarbeit zu setzen. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass Sie Anregungen für Ihre Arbeit finden. Denn von Ihrer fachlichen Expertise und Ihrem Engagement lebt die Kinder- und Jugendhilfe. Ihre Lisa Paus Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend a. D. (2022–2025) Ehemalige Vorsitzende des Vorstands der Stiftung Deutsche Jugendmarke Bildnachweis: Laurence Chaperon
9 Einleitende Bemerkungen Liebe Kolleg*innen, liebe Leser*innen, seit der Veröffentlichung der „Handreichung Tagesgruppen“ im Jahr 2015 sind mit den SGB-VIII-Reformprozessen und zuletzt durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) zentrale menschen- bzw. kinderrechtsbasierte und pädagogische Diskurse aufgegriffen und rechtlich verankert worden: Neben einem Mehr an Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien sowie Schutz- und Förderrechten ist die Idee einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe mit Leistungen „aus einer Hand“ für junge Menschen mit und ohne Behinderung leitend. Dieser Idee folgt die Hilfeform Tagesgruppe schon seit Langem mit Blick auf die Inklusion von Adressat*innen mit diagnostizierten Behinderungen und/oder Einschränkungen der sozialen Teilhabe, was auch als Benach- teiligung aufgrund der Lebenslage oder sozialen Herkunft verstanden werden kann. Durch die Zunahme der Komplexität der je individuellen Bedarfslagen von jungen Menschen und Eltern gibt es heute auch zunehmend mehr Fälle in den Tagesgruppen, bei denen das Wohl von jungen Menschen innerhalb ihrer Familien mit und ohne Behinderungen sichergestellt werden muss. Hierfür arbeitet die Tagesgruppe eng mit ambulanten Hilfen zusammen. Mit dem KJSG wurde der Auftrag für Erziehungshilfen einmal mehr geschärft, allen jungen Menschen gemäß § 1 SGB VIII gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen und die insbesondere in § 9 Abs. 3 bis 4 SGB VIII benannten Benachteiligungen abzubauen. Zukunftsorientierte Tagesgruppenarbeit nach § 32 SGB VIII versteht sich vor diesem Hintergrund als Ort für Kinder, an dem das Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und auf ihrer Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit durch vielfältige Angebote umgesetzt wird (§ 1 SGB VIII). Mit einem sowohl auf junge Menschen zentrierten als auch auf Sorgeberechtigte bezogenen Unterstützungs- und Bildungssetting leisten Tagesgruppen einen Beitrag, die Chancen des Kindes auf Teilhabe deutlich zu erhöhen. Dazu gehört auch die Teilhabe des Kindes am Ganztag. In der Hilfeform Tagesgruppe wird das Kind dahingehend unterstützt und gefördert, dass es über genügend soziale und schulische Basiskompetenzen verfügt, um sich im Setting und in den Angeboten der schulischen Ganztagsbetreuung zu orientieren und zurechtzukommen. Eltern/Sorgeberechtige werden darin unterstützt, ihre Anliegen z. B. im schulischen Kontext besser vertreten zu können. Mit Kleingruppen, Einzelförderungen sowie „Großgruppenangeboten“, einer Orientierung gebenden Tagesstruktur und handlungsleitenden, flexibel umgesetzten Regeln ermöglichen Tagesgruppen einen geschützten, aber gleichermaßen anregenden Möglichkeitsraum für die individuelle Entwicklung von jungen Menschen. Um später als erwachsene Person selbstbestimmt zu leben, um sich selbstwirksam zu erleben, bietet die Hilfeform jungen Menschen altersgerechte, auf alle Bereiche des Settings ausgerichtete Partizipationsmöglichkeiten und damit gleichermaßen ein alltagsbezogenes, integriertes „Übungsfeld“ zwischen Schule und weiteren Institutionen in der Lebenswelt junger Menschen und ihrer Familien. Als einzige Hilfeform innerhalb der Hilfen zur Erziehung ist bei der Tagesgruppenarbeit nach § 32 SGB VIII Elternarbeit in der Gesetzesnorm definiert. Auch wird mit dem KJSG die Zusammenarbeit mit Eltern/Sorgeberechtigten nicht nur im Hilfeplan nach § 36 SGB VIII, sondern auch mit einem eigenen Beratungsanspruch in § 37 und § 37a SGB VIII in den Hilfen zur Erziehung deutlich gestärkt. Es geht darum, gemeinsam Zukunftsperspektiven für ein gutes Aufwachsen sowie eine positive Entwicklung des Kindes im familiären Bezugssystem zu erarbeiten. Eine Herausforderung – denn die Perspektive wird sich dadurch noch mehr vom Kind zur Familie erweitern. Dafür braucht es mehr strukturell verankerte Zeit und Ressourcen für individuelle Elternarbeit und Familien- arbeit. Eine weitere Gestaltungsaufgabe liegt in der in § 4a SGB VIII benannten Anregung und Förderung der Selbstvertretung und Selbstorganisation von jungen Menschen und Eltern, woraus sich auch spezifische Herausforderungen
10 für das teilstationäre Setting Tagesgruppe ergeben: Kinder (häufig im Grundschulalter) mit unterschied- lichen Bedarfen sind einige Stunden zur ganzheitlichen Förderung in der Tagesgruppe, gehen zurück in das familiäre Bezugssystem, das der Hauptbezugspunkt für die Kinder ist; Sorgeberechtige kommen im Rahmen der individuellen Elternarbeit sowie der Familienarbeit in die Gruppe, die Fachkräfte gehen in die Häuslichkeit der Familien. Die Verweildauer in diesem Setting ist fallbezogen sehr unterschiedlich. Es ist zu fragen und zu entwickeln, wie Tagesgruppen vor dem Hintergrund dieser Kommen-und-Gehen-Struktur junge Menschen und deren Eltern/ Sorgeberechtigte dabei unterstützen können, ihre Interessen im Hilfesystem zu vertreten. Um die neuen Aufgaben umzusetzen, ist die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema „Partizipation und Inklusion“ in der Tagesgruppe erforderlich. Es ergeben sich neue fachliche Herausforderungen wie entsprechende (Weiter-)Qualifizierungsbedarfe für die Fachkräfte und eine Überprüfung des bisherigen Settings im Hinblick auf Barrieren. Dabei beziehen sich Barrieren nicht nur auf räumliche Aspekte, sondern vielmehr auch auf Sichtweisen und Haltungen gegenüber den Adressat*innen der Hilfeleistung. Vonnöten ist eine Sensibilität für gesellschaftliche und institutionelle Exklusionsmechanismen und es ergeben sich sowohl neue Anforderungen an die Strukturierung des Tagesablaufes als auch an die Entwicklung von Organisationsstrukturen. Das er- fordert künftig verstärkt systemübergreifende Kooperation und eine Haltung der Fachkräfte zu Vielfalt und Ver- schiedenheit, die gleichermaßen sensibel und kritisch gegenüber machtvollen Zuschreibungen und möglicher Benachteiligung ist. Vor dem Hintergrund des geplanten Ausbaus der Ganztagsbetreuung wird sich Tagesgruppenarbeit verstärkt zur Institution Schule positionieren müssen. Laut Gesetzestext sollen Tagesgruppen „die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen durch soziales Lernen in der Gruppe, Begleitung der schulischen Förderung und Elternarbeit unterstützen und dadurch den Verbleib des Kindes oder des Jugendlichen in seiner Familie sichern“. Wie diese Begleitung der schulischen Förderung aussehen sollte, welchen Stellenwert sie im Hilfesetting gegenüber dem sozialen Lernen und der Elternarbeit hat, ist zu diskutieren, gerade auch im Hinblick auf den Anspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026. Schulische Probleme allein reichen aber nicht für die Gewährung der Hilfeleistung Tagesgruppe aus. Angesichts der hier nur kurz skizzierten Gestaltungsaufgaben ist es umso erstaunlicher, dass es bis auf zwei He- rausgaben der Fachgruppe Tagesgruppen der IGfH1 bislang kein aktuelles und umfassendes pädagogisches Grundlagenwerk zur Tagesgruppenarbeit gibt. Auch fehlen systematische empirische Erkenntnisse bzw. wissenschaftliche Studien zur Tagesgruppenarbeit, vor allem aus Sicht von jungen Menschen und Eltern. Ziele und Inhalte des Handbuchs Das „Handbuch Tagesgruppen“ nimmt bestehende Leerstellen zum Ausgangspunkt und verfolgt die Idee, Praxiswissen und theoretische Grundlagen zur Tagesgruppenarbeit mit aktuellen pädagogischen und gesellschaftlichen Diskursen zu verknüpfen. Eröffnet wird das Handbuch mit einem Grußwort von Lisa Paus, der ehemaligen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die die Bedeutung der Hilfeform im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe würdigt. Nach den einleitenden Bemerkungen der Fachgruppe Tagesgruppen sowie von Stefan Wedermann und Josef Koch seitens der IGfH beleuchtet das folgende Kapitel die Rahmenbedingungen und Grundlagen dieser Hilfeform: Jannik Stang und Hans-Anton Maier zeichnen die (Kurz-)Geschichte der Tagesgruppenarbeit nach und zeigen Entwicklungslinien von der Heimerziehung bis zur eigenständigen Hilfeform auf. Ulrike Bavendiek und Babett Schott setzen sich mit strukturellen Ungleichheiten in der Tagesgruppenarbeit auseinander und Norbert Struck beleuchtet die rechtliche Rahmung. Die Perspektive auf die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik liefern 1 Krüger, Eberhardt/ Reuter-Spanier, Dieter/ Trede, Wolfgang u. a. (Hrsg., 1994): Erziehungshilfe in Tagesgruppen. Entwicklung, Konzeptionen, Perspektiven. Frankfurt am Main: IGfH-Eigenverlag; Bavendiek, Ulrike/ Geske, Guntram/ Flock, Bruno (Hrsg., 2015): Handreichung Tagesgruppen. Theorie und Praxis zukunftsorientierter Tagesgruppenarbeit. Frankfurt am Main: IGfH-Eigenverlag.
11 Agathe Tabel und Petra Göbbels-Koch, während Matthias Moch sich mit den Qualifikationen und der Professionalität von Fachkräften befasst. Joachim Merchel stellt Anforderungen an die Qualitätsentwicklung „guter“ Tagesgruppen dar, Mechthild Wolff thematisiert Schutzkonzepte als Chance für eine rechtebasierte Praxis, Holger Schmidt und Marc Witzel diskutieren die Tagesgruppe als pädagogischen Ort – ergänzt durch Schmidts Über- legungen zur ganzheitlichen Bildung. Hans-Ullrich Krause setzt sich mit Beteiligung als Organisationskultur und -struktur auseinander und Claudia Equit sowie Monika Warpaul geben Hinweise zum konzeptionellen Beschwerdemanagement. Der folgende Teil des Handbuchs versammelt aktuelle Anforderungen und Zukunftsimpulse für die Tagesgruppen- arbeit. Ulrike Bavendiek führt in dieses Großkapitel ein. Remi Stork eröffnet mit einem Grundlagenbeitrag zur Partizipation in Tagesgruppen, ergänzt durch ein Orientierungspapier der Fachgruppe. Albrecht Rohrmann formuliert Herausforderungen und Leitideen einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe; das wird durch ein weiteres Orientierungspapier zur Teilhabe in der Tagesgruppe vertieft. Holger Schmidt reflektiert über Macht und Regeln in der Tagesgruppe, Fabian Wagner ergänzt mit einem Beitrag zu Adultismus, Bruno Flock bringt systemische Autorität als Haltung ein. Nicole von Langsdorff wirft einen intersektionalen und geschlechterreflexiven Blick auf die Tagesgruppenarbeit, erweitert wird das durch Beiträge zu Reflexionsfragen (Janick Stang), Rassismus (Nerea González Méndez de Vigo), Regenbogenfamilien (Sarah Dionisius), Hochgewichtigkeit (Lotte Rose) und sexueller Bildung (Torsten Linke). Kerima Kostka widmet sich der Arbeit mit Eltern; Christian Scharfe und Petra Kiehl beleuchten in diesem Kontext die Multifamilientherapie. Marc Witzel analysiert die Bedeutung der Digitalisierung für die Tagesgruppenarbeit. Abschließend stellt Dirk Michael Nüsken Überlegungen zur Wirksamkeit sozialer Dienstleistungen an, flankiert von Bruno Flocks Beitrag zu Evaluationsinstrumenten. Der abschließende Teil des Handbuchs – Praxis und Methoden – legt den Fokus auf konkrete Instrumente, methodische Impulse und reflektierte Praxis: Ulrike Bavendiek gibt Impulse zur Qualitätsentwicklung durch Dokumentation und beschreibt gemeinsam mit Tanja Peters verschiedene Phasen der Tagesgruppenarbeit. Checklisten und Gesprächsvorbereitungen (Tanja Peters, Guntram Geske) flankieren methodische Beiträge zur Tagesstruktur, zu tiergestützten Interventionen (Wiebke Urich, Sandra Brozio, Lea Neuls, Birgit Siemon), Familienfreizeiten (Anne-Kathrin Koch, Bruno Flock), zur Gesundheitsförderung (Anke Noack), Abschiedsgestaltung (Carina Otto), zu Elternbefragungen (Babett Schott), Patenschaftsmodellen (Jörn Otterbach, Clara Feuerpeil) und Vernetzungsinitiativen wie der IG „Laut sein“ (Martina Poell). Konzepte für Vorschulkinder (Babett Schott) und heilpädagogischtherapeutische Tagesgruppen (Sabine Krebs-Krüger, Ralf Raber) werden ebenso dargestellt wie medienpädagogische Ansätze (Guntram Geske, Kevin Jansen), Raumgestaltung (Ulrike Bavendiek), die SEED-Skala (Wiebke Urich) sowie ein methodischer Teil zur sexuellen Bildung (Torsten Linke). Beiträge zu Kinderkonferenzen (Janick Stang), Übergängen (Ulrike Bavendiek), Beziehungsgestaltung im virtuellen Raum (Matthias Hainski, Carina Otto) und der digitalen Elternkommunikation per App (Tanja Peters, Simone Taudt, Ulrike Bavendiek) runden diesen umfangreichen Praxisteil ab. Das vorliegende Sammelwerk dient der fachlichen, theoretischen und praktischen Orientierung für Studierende, Berufseinsteiger*innen und Praktiker*innen – möchte aber gleichzeitig auch Wissenschaftler*innen und Forscher*innen auf die Einzigartigkeit der Hilfeform Tagesgruppe aufmerksam machen und Verknüpfungen mit sozialpädagogischen Diskursen suchen. Über die Fachgruppe Tagesgruppen Die Fachgruppe Tagesgruppen besteht aus Fachkräften in verschiedenen Funktionen in der Hilfeform Tagesgruppe, für die sie in Organisationen zuständig sind oder sich anderweitig für die Hilfeform Tagesgruppe engagieren. Zweimal im Jahr treffen sich die Fachgruppenmitglieder mehrtägig, um sich über bundesweite fachliche Themen und die Situation der Tagesgruppen in den Bundesländern zu informieren. Die Fachgruppe freut sich über neue Mitglieder! Für weitere Informationen wenden Sie sich an Ulrike Bavendiek, Sprecherin der Fachgruppe Tagesgruppen unter https://igfh.de/igfh/fachgruppen/tagesgruppen.
12 Danksagung Ganz herzlichen Dank an die aus verschiedenen Bundesländern kommenden Mitglieder der Fachgruppe Tagesgruppen in der IGfH für die jahrelange gute Zusammenarbeit, die immer wieder mit Herz und Verstand geführten Diskussionen rund um die Weiterentwicklung der Hilfeform Tagesgruppe! Vielfalt, Unterschiedlichkeit, gemein- sames Arbeiten und ein gemeinsames Ziel haben dieses Handbuch möglich gemacht. Herzlichen Dank insbesondere auch an die Geschäftsstelle der IGfH, die die Fachgruppe in allen Belangen hervorragend unterstützt! Die Herausgeber*innen freuen sich über Ihre Rückmeldung und wünschen viel Spaß bei der Lektüre! Für die Fachgruppe Tagesgruppen die Redaktionsgruppe des Handbuchs Tagesgruppen: Ulrike Bavendiek, Guntram Geske, Bruno Flock, Lisa Albrecht, Sarah Dionisius
36 Die Tagesgruppe im Licht der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik Agathe Tabel, Petra Göbbels-Koch Bei der Tagesgruppe handelt es sich um eine Leistung, die „die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen durch soziales Lernen in der Gruppe, Begleitung der schulischen Förderung und Elternarbeit unterstützen und dadurch den Verbleib des Kindes oder des Jugendlichen in seiner Familie sichern“ (§ 32 SGB VIII) soll. Sie ist ein gruppenorientiertes, teilstationäres Angebot mit dem vorrangigen Ziel, eine Fremdunterbringung zu vermeiden. Dabei werden die Adressat*innen über den Tag in der Bewältigung von Problemlagen in ihrer besonders belastenden Lebenssituation unterstützt (vgl. Knödler 2023; Kreft/ Mielenz 2021; Wolff 2020). Neben dem Ziel der Förderung der sozialen und schulischen Kompetenzen der Kinder richtet sich das Angebot der Tagesgruppe auch an ihre Eltern (vgl. Wolff 2020). Die Elternarbeit ist ein wichtiger Bestandteil, der die Wirksamkeit der Erziehung in der Tagesgruppe wesentlich beeinflusst (vgl. Seithe 2007). Eltern werden mit der Inanspruchnahme einer Tagesgruppe in ihrer Erziehungskompetenz gefördert (vgl. Wolff 2020). Durch die teilsta- tionäre Konzeption dieses Angebots erleben sie ihre Kinder oftmals nicht in besonders herausfordernden Situationen, wodurch sie entlastet werden sollen (vgl. Schmid u. a. 2006). Darüber hinaus zeichnet sich die Tagesgruppe dadurch aus, dass es sich im Vergleich zu anderen erzieherischen Leistungen um eine schulnahe Hilfe handelt. Bei keiner anderen Hilfeleistung im Rahmen der Hilfen zur Erziehung wird ein solcher Bezug zum Thema „Schule“ genommen. Oftmals arbeitet die Tagesgruppe eng mit der Schule zusammen oder ist sogar örtlich mit ihr verbunden, um mit Kindern intensiv zu arbeiten, die neben einem erzieherischen Bedarf unter anderem auffälliges Sozialverhalten, Schulverweigerung oder Probleme der schulischen Integration aufweisen (vgl. Wolff 2020). Vor diesem Hintergrund ist die Tagesgruppe im Kontext des Ausbaus der offenen Ganztagsschulen (OGS) in Deutschland auch zunehmend in den Vordergrund der fachlichen Diskussionen getreten. Mit dem Ausbau der Offenen Ganztagsschule (OGS) seit dem Start des IZBB-Programms21 im Jahr 2003 (vgl. StEG 2019) ging einerseits die Befürchtung einer negativen Auswirkung auf die Tagesgruppe einher: Denn mit der Ausweitung der OGS würde die Tagesgruppe an Profil verlieren und müsse sich neu aufstellen (vgl. ebd.). Andererseits sind mit dieser Entwicklung aber auch Hoffnungen verbunden worden, Kooperationen zwischen Akteur*innen der erzieherischen Hilfen und der OGS aufzubauen, um mögliche Synergieeffekte bei den Ressourcen zu fördern (vgl. Altermann u. a. 2016). Der Beitrag gibt anhand der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik einen Überblick über die quantitative Bedeutung der Tagesgruppe in der Entwicklung. Darüber hinaus werden zu ausgewählten Merkmalen spezifische Analysen und Auswertungen zu den Adressat*innen und der Hilfe selbst vorgestellt, die wichtige Informationen hinsichtlich der Hilfeausgestaltung liefern können. Beginnend mit einem Überblick von der zeitlichen Entwicklung der Tagesgruppe zwischen 2010 und 2023 werden statistische Daten zu den Inanspruchnahmen, den Ausgaben und dem Personal betrachtet. Im zweiten Teil liegt der Fokus auf den Adressat*innen der Tagesgruppen. Personenbezogene Merkmale wie Alter, Geschlecht und Lebenslagen werden ebenfalls thematisiert. Anschließend werden ausgewählte Merkmale, die Hinweise auf die Hilfeverläufe und -qualität geben, in den Blick genommen. Der Beitrag schließt mit einer Bilanz zu den dargestellten Ergebnissen ab und gibt einen Ausblick auf mögliche weitere Fragestellungen. Tagesgruppe in der Entwicklung: Inanspruchnahme, Ausgaben, Personal Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 bis 35 SGB VIII zeichnen sich durch eine breite Palette von Hilfsmöglichkeiten für junge Menschen und ihre Familien aus. Sie umfassen insgesamt elf verschiedene Leistungsangebote, die in 21 Investitionsprogramm Zukunft, Bildung und Betreuung (IZBB), vgl. URL: www.esf.de/portal/DE/Ueber-den-ESF/Geschichte-des-ESF/Foerderperiode-2007-2013/ESF-Programme/programme/bmbf_zukunft_bildung.html (Abrufdatum: 15.01.2025).
37 Erziehungsberatung (§ 28 SGB VIII), ambulante (§§ 29 bis 32 und 35 SGB VIII)22 und stationäre Hilfen (§§ 33 bis 34 SGB VIII) aufgeteilt sind.23 2023 wurden 1.032.929 Hilfen zur Erziehung gezählt, die insgesamt 1.214.017 junge Menschen erreicht haben. Seit 2010 wurden zunehmend mehr Hilfen zur Erziehung gewährt. So weist die amtliche Statistik 866.405 Hilfen zur Erziehung insgesamt und damit 986.026 junge Menschen für 2010 auf. Bis 2023 zeigt sich, dass 19 % mehr Hilfen in Anspruch genommen und 23 % mehr junge Menschen durch sie erreicht worden sind. Insbesondere in den ambulanten Hilfen ist ein kontinuierlicher Anstieg in den Hilfen zur Erziehung zu beobachten.24 „27,2er-Hilfen“ (ambulant); 8% Erziehungsberatung (§ 28); 41% Soziale Gruppenarbeit (§ 29); 1% Einzelbetreuung junger Menschen (§ 30); 6% SPFH (§ 31); 23% Tagesgruppenerziehung (§ 32); 2% ISE (§ 35); 1% Vollzeitpflege (§ 33); 7% Heimerziehung (§ 34); 11% „27,2er-Hilfen“ (stationär); 0,4% Abbildung 1: Junge Menschen in den Hilfen zur Erziehung (einschließlich der Hilfen für junge Volljährige) (Deutschland; 2023; Aufsummierung der zum 31.12. eines Jahres andauernden und der innerhalb eines Jahres beendeten Hilfen; Anteile in %; N = 1.214.017) 1 ISE = Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung 2 SPFH = Sozialpädagogische Familienhilfe Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe, Hilfe für junge Volljährige 2023; eigene Berechnungen Die Tagesgruppe stellt aufgrund ihres teilstationären Charakters eine Schnittstelle zwischen den ambulanten und stationären Hilfen zur Erziehung dar. Während 2023 die Erziehungsberatung 41 % aller jungen Menschen in den Hilfen zur Erziehung ausmacht, gefolgt von der Sozialpädagogischen Familienhilfe mit einem Viertel der Hilfen, macht die Tagesgruppe lediglich einen eher kleinen Anteil mit 2 % der Hilfen zur Erziehung aus (vgl. Abbildung 1). Dieser Anteil, den die Tagesgruppe innerhalb der Hilfen zur Erziehung ausmacht, blieb zwischen 2010 und 2013 relativ stabil bei 3 % und ist danach auf 2 % gesunken. Die Tagesgruppe machte 2023 7 % aller ambulanten Hilfen zur Erziehung aus. 22 Die Redaktion des Handbuchs merkt an, dass Tagesgruppe eine eigene Hilfeform ist, deren Strukturlogik weder voll im stationären noch im ambulanten Setting aufgeht. Die Tagesgruppe als teilstationäre Hilfe wird in diesem Beitrag jedoch dem ambulanten Bereich zugeordnet. Im Wesentlichen liegt die Unterscheidung darin, dass ambulante/teilstationäre Hilfen im Gegensatz zu der stationären Unterbringung (vor- wiegend) nicht über Nacht außerhalb der Herkunftsfamilie erfolgen. Im Rahmen der Veröffentlichungen der Daten des Statistischen Bundesamtes werden die ambulanten und teilstationären Hilfen ebenfalls zusammen ausgewiesen. 23 Hilfen zur Erziehung nach § 27 Abs. 2 SGB VIII, auch „27,2er-Hilfen“ genannt, können sowohl ambulant als auch stationär gestaltet sein und gelten als flexible Formen der Hilfe (vgl. Knödler 2023). 24 Vgl. URL: www.hzemonitor.akjstat.tu-dortmund.de (Abrufdatum: 15.01.2025).
38 Inanspruchnahme25 Im Jahr 2023 wurden 21.800 Hilfen gemäß § 32 SGB VIII in Deutschland gezählt. In der altersgleichen Bevölkerung entsprechen dem 15 Kinder und Jugendliche von 10.000 unter 18-Jährigen, deren Eltern 2023 eine Tagesgruppe in Anspruch genommen haben. Mit Blick auf die vorherigen Jahre weist die amtliche Statistik eine deutliche Abnahme in der Inanspruchnahme von Tagesgruppen aus (vgl. Abbildung 2). Während zwischen 2010 und 2011 die Fallzahlen nur minimal auf 26.447 gestiegen sind, brach seit diesem Höchststand in 2011 die Inanspruchnahmequote um -10 % auf 23.729 bis 2017 ein. Mit einer Ausnahme von einem kurzzeitigen Anstieg zwischen 2018 und 2019 erreichte die Inanspruchnahmequote 2023 den im letzten Jahrzehnt niedrigsten Stand. Bevölkerungsrelativiert zeigt sich ebenfalls eine deutliche Abnahme, bei der in 2023 fünf Kinder pro 10.000 der unter 18-Jährigen weniger eine Tagesgruppe besucht haben als in 2011. 26.331 26.447 25.753 25.376 24.980 24.314 23.834 23.729 24.157 24.187 23.302 22.938 22.035 21.800 19,7 20,0 19,6 19,3 19,1 18,2 17,7 17,5 17,8 17,7 17,0 16,5 15,5 15,2 0 10 20 30 40 50 0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 pro 10.000 der altersgleichen Bevölkerung Fallzahlen absolut Fallzahlen absolut Inanspruchnahme Abbildung 2: Junge Menschen in der Tagesgruppe (Deutschland; 2010 bis 2023; Aufsummierung der zum 31.12. eines Jahres andauernden und der innerhalb eines Jahres beendeten Hilfen; Angaben absolut, Inanspruchnahme pro 10.000 der unter 18-Jährigen) Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe, Hilfe für junge Volljährige; verschiedene Jahrgänge; eigene Berechnungen Blickt man nun auf die einzelnen Bundesländer, so zeigen sich deutliche Unterschiede in den Inanspruchnahmequoten von Hilfen gemäß § 32 SGB VIII. Die Spannweite reicht von fünf Kindern pro 10.000 der unter 18-Jährigen in Hamburg26 bis zu 28 pro 10.000 Kindern in Sachsen-Anhalt, die 2023 eine Tagesgruppe besucht haben. In 14 der 16 Bundesländer lässt sich eine Abnahme in den Inanspruchnahmequoten von 2010 bis 2023 konstatieren, sodass der Rückgang der Tagesgruppe so gut wie flächendeckend erfolgt ist. Diese Abnahme war um zehn 25 Die Inanspruchnahme bezieht sich auf die Summe der am 31.12. eines Jahres andauernden und der innerhalb eines Jahres beendeten Hilfen. Die Angaben zur Inanspruchnahme werden bevölkerungsrelativiert pro 10.000 der unter 18-Jährigen dargestellt. 26 In welchem Zusammenhang die relativ geringe Inanspruchnahmequote im Stadtstaat Hamburg mit den sozialraumorientierten Hilfen vor Ort steht, ist unklar. Gleichwohl ist zu erwähnen, dass Hamburg seit einiger Zeit sogenannte „Sozialräumliche Angebote der Jugend- und Fami- lienhilfe (SAJF)“ anbietet, die niedrigschwellige, frühzeitige und präventive Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder, Jugendliche und ihre Familien darstellen. Diese Angebote nutzen bzw. erweitern die vorhandene Infrastruktur im Sozialraum und verbinden verschiedene Leistungsbereiche und Systeme wie Jugendhilfe und Schule miteinander (vgl. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg 2023; Speck u. a. 2021).
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