Das aktuelle Handbuch der Pflegegrade

Birgit Greif Das aktuelle Handbuch GHU 3ʴHJHJUDGH Alle Ansprüche kennen und ausschöpfen Den Gutachtertermin vorbereiten Checklisten, Beispiele, Übersichten DNWXDOLVLHUWH $XʴDJH 0HKU /HLVWXQJHQ GXUFK GLH 3ʴHJHUHIRUP

www.WALHALLA.de WISSEN FÜR DIE PRAXIS ISBN 978-3-8029-7347-5 € 19,95 [D] Wie viel Geld von wem wofür? $QVFKDXOLFK HUNO¦UW GLH $XWRULQ GLH (LQVWXIXQJ LQ 3ʴHJHJUDGH 6LH EHVFKUHLEW 6FKULWW I¾U 6FKULWW ZLH 3ʴHJHEHG¾UIWLJH XQG GHUHQ $QJHK¸ULJH ]X LKUHP *HOG NRPPHQ 'LHVHU Leitfaden klärt alle wichtigen Fragen: • :LH LVW GHU $QWUDJ DXI HLQHQ 3ʴHJHJUDG ]X VWHOOHQ" • :LH XQWHUVFKHLGHQ VLFK GLH HLQ]HOQHQ 3ʴHJHJUDGH" • :LH KRFK VLQG GLH /HLVWXQJHQ GHU 3ʴHJHNDVVH" • :DV SU¾IW GHU *XWDFKWHU" • 0LW ZHOFKHQ )UDJHQ P¾VVHQ 6LH UHFKQHQ" • :LH EHUHLWHQ 6LH VLFK YRU" .HLQH $QJVW YRU GHP *XWDFKWHU 3ʴHJHI¦OOH DXV GHU EHUXʴLFKHQ 3UD[LV GHU $XWRULQ YHUDQVFKDXOLFKHQ ZLH VLFK 3ʴHJHEHG¾UIWLJH 3ʴHJHQGH XQG GHUHQ $QJHK¸ULJH DXI GHQ 7HUPLQ PLW GHP *XWDFKWHU GHU .UDQNHQNDVVHQ RSWLPDO YRUEHUHLWHQ %HUHLWHQ 6LH VLFK DXVVDJHNU¦IWLJ XQG SU¾IXQJVVLFKHU YRU 'LH $QOHLWXQJ ]HLJW DXI ZHOFKH 8QWHUODJHQ YRUEHUHLWHW ZHUGHQ VROOHQ 'DV 0XVWHU HLQHV 3ʴHJHWDJHEXFKHV KLOIW GHQ 8QWHUVW¾W]XQJVEHGDUI IHVW]XKDOWHQ 'DV 0XVWHU ]XU 3URWRNROOLHUXQJ ]HLJW PLW VHLQHQ HUO¦XWHUQGHQ +LQZHLVHQ DXI ZDV EHLP *XWDFKWHUEHVXFK JHDFKWHW ZHUGHQ VROOWH Birgit Greif, ]HUWLʳ]LHUWH XQG XQDEK¦QJLJH 3ʴHJHVDFKYHUVW¦QGLJH 'R]HQWLQ I¾U 3ʴHJHDVVLVWHQ] )DFKNUDIW I¾U 3ʴHJHEHG¾UIWLJNHLW PLW ¾EHU M¦KULJHU %HUXIVHUIDKUXQJ DOV VWDDWOLFK JHSU¾IWH .UDQNHQVFKZHVWHU X D LQ GHQ %HUHLFKHQ &KLUXUJLH 3V\FKLDWULH IRUHQVLVFKH 3V\FKLDWULH /DQJM¦KULJH 7¦WLJNHLW LQ 6HQLRUHQKHLPHQ *HULDWULH +HLO S¦GDJRJLVFKHQ +HLPHQ I¾U JHLVWLJ XQG N¸USHUOLFK EHKLQGHUWH 0HQVFKHQ DXI 6XFKW VWDWLRQHQ VRZLH LQ GHU +DXVNUDQNHQSʴHJH 6LH JLOW DOV DQHUNDQQWH ([SHUWLQ LQ )DFKNUHLVHQ

Schnellübersicht Schnellübersicht Die Pflegegrade begreifen __________________________________________________________ 7 1 Gesetzliche Vorgaben: Pflegebedürftigkeitsbegriff und Regeln zur Begutachtung _____ 9 2 Vom Antrag bis zum Bescheid: So läuft das Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit ab __________________ 13 3 Die Ermittlung der Pflegegrade __________________________________________________ 29 4 Leistungen der Pflegeversicherung _______________________________________________ 69 5 So sind Sie für den Begutachtungstermin gut vorbereitet _ _________________________ 91 6 Fallbeispiele ____________________________________________________________________ 107 7 Weiterführende Informationen __________________________________________________ 147 8 Stichwortverzeichnis _ ___________________________________________________________ 149

www.WALHALLA.de 7 Die Pflegegrade begreifen Die Pflegegrade begreifen Seit 1. Januar 2017 gilt in Deutschland ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und damit zusammen- hängend eine neue Art, wie die Pflegebedürftigkeit festgestellt und in Pflegegrade eingeordnet wird. Geschaffen wurde dieser sogenannte „Paradigmenwechsel“ durch langjährige pflegewissenschaftliche Studien, die in die Pflegestärkungsgesetze eingeflossen sind. Diese größte Reform seit Bestehen der Pflegeversicherung fand zum Jahreswechsel 2016/2017 zunächst seinen Abschluss. Seither gilt es für alle Beteiligten, die neuen gesetzlichen Vorgaben umzusetzen. Dieses Handbuch soll als „Hilfe zur Selbsthilfe“ dazu beitragen. Ich habe den Inhalt so praktisch wie möglich gehalten: Kurz, knapp und prägnant. Denn aus meiner Berufserfahrung weiß ich, wie schwierig es ist, die Theorie der gesetzlichen Vorgaben mit der praktischen Umsetzung zu verknüpfen. Hinzu kommen die Individualität des Einzelnen sowie die verschiedensten Krankheitsbilder. Begleiten Sie mich als unabhängige Pflegesachverständige bei meinen Begutachtungsterminen. Dabei begegnen wir den von den Pflegekassen beauftragten Gutachtern des Medizinischen Dienstes bzw. den ersatzweise beauftragten Gutachtern. Die privaten Krankenversicherungen setzen ihren eigenen medizinischen Dienst MEDICPROOF ein. Erfahren Sie praxisnah, wie die beauftragten Gutachter der Pflegekassen ihre Arbeit verrichten und das Prozedere von Antragstellung bei der zuständigen Pflegekasse bis zum Erhalt eines Pflege- grades vonstattengeht. Dieser „Pflegekurs“ hilft Ihnen bei der Einschätzung, ob Ihnen ein Pflegegrad zusteht und im bestem Fall welcher. Gleichzeitig erhalten Sie Arbeitshilfen in Form von Übersichten, Checklisten und Mustern, um optimal auf und im entscheidenden Begutachtungstermin vorbereitet zu sein. Zur Abrundung schildere ich Beispielsfälle aus meiner täglichen Praxis, an denen Sie sich im Hinblick auf den eigenen Pflegeaufwand orientieren können. Mein Rat: Kämpfen Sie für Ihr Recht! Je mehr Menschen kämpfen, desto mehr wird sich das Blatt für die Alten, Kranken und Schwachen zum Positiven wenden. Leider wird gerade diesen Menschen oft nicht wirklich geholfen – und das ist meiner Meinung nach kein neues Phänomen, sondern ein von jeher herrschendes Problem. Lassen Sie uns das gemeinsam ändern! Birgit Greif

10 www.WALHALLA.de Gesetzliche Vorgaben: Pflegebedürfigkeitsbegriff und Regeln zur Begutachtung Der Pflegebedürftigkeitsbegriff Seit Bestehen der Pflegeversicherung kritisierte die Pflegewissenschaft den Pflegebedürftigkeitsbegriff als zu defizitorientiert und verrichtungsbezogen. Die Minutenzählerei bei den einzelnen Verrichtungen, wurde – zu Recht – als menschenverachtend empfunden, dementielle und psy- chische Erkrankungen viel zu wenig in die Begutachtung bzw. in das Begutachtungsergebnis einbezogen. Nach elf Jahren, zwei Expertenbeiräten, zwei Modellprojekten, drei Bundesregierungen und kleineren Vorgänger-Reformen war es dann am 1. Januar 2017 soweit: Ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff fand Einzug in das Recht der Pflegeversicherung. Seit diesem Zeitpunkt misst sich die Pflegebedürftigkeit ausschließlich am Grad der Beeinträchtigung von Selbstständigkeit oder Fähigkeiten. Neben dem körperlich betroffenen Pflegebedürftigen werden mit der Pflegereform auch solche gleichberechtigt im Leistungskatalog der Pflegeversicherung berücksichtigt, die kognitive Erkrankungen oder psychische Störungen aufweisen. Neue Definition Pflegebedürftigkeit ■ Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit und Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. ■ Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Belastungen oder ge- sundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. ■ Die Pflegebedürftigkeit muss (unverändert) auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate be- stehen. Maßstab zur Bewertung der Pflegebedürftigkeit ist also immer die Orientierung am Grad der Selbstständigkeit und Fähigkeiten. Dreh- und Angelpunkt ist also immer die Frage: Was kann der Betroffene noch selbst bzw. inwieweit kann der Betroffene noch Aktivitäten in seinem Leben eigenständig und ohne Unterstützung anderer Personen durchführen? Was diese Fragestellung für Auswirkungen auf die Begutachtung hat, sehen wir dann in Kapitel 3, das sich mit der Feststellung der Pflegebedürftigkeit beschäftigt.

Pflegeerschwerde Faktoren www.WALHALLA.de 11 Die Regeln zur Begutachtung Die Begutachtung verläuft nicht mehr wie vor der Reform durch Messung des Zeitaufwandes für Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens („Minutenzählerei“), sondern folgt der neuen Definition der Pflegebedürftigkeit und zielt ausschließlich auf das ab, was der Betroffene noch kann. Grundsatz Allein maßgeblich für die Begutachtung ist nun die Schwere der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit bzw. der Fähigkeit, bestimmte Dinge selbst zu erledigen. Zur Einstufung wurde ein neues Begutachtungsinstrument (NBI) entwickelt. Grundlage dieses Instruments sind sechs Lebensbereiche (Module), innerhalb derer der Hilfebedarf festgelegt wird. Diese Module bzw. die darin gewerteten Kriterien werden dann in diversen Schritten gewichtet und eine Gesamtpunktzahl errechnet. Je nach erreichter Punktzahl erfolgt eine Einstufung in eine der neuen fünf Pflegegrade. Übersicht: Das hat sich bei der Begutachtung verbessert ■ Einschätzung nicht mehr nach Minuten sondern nach dem Grad der Selbstständigkeit ■ Hilfen bei den Alltagsverrichtungen (Pflege und Unterstützung) werden besser berücksichtigt ■ Psychosoziale Unterstützung wird erstmals umfassend berücksichtigt und der Bedarf z. B. bei Verwirrtheit, Depressionen, Strukturierungen des Alltags als pflegegradrelevant erfasst ■ Der nächtliche Hilfebedarf wird jetzt mitbetrachtet ■ Die Präsenz am Tag wird mitbetrachtet, also ob der Gepflegte für bestimmte Zeit allein gelassen werden kann ■ Die Unterstützung beim Umgang mit krankheitsbedingten Anforderungen (z. B. Medikamenten- einnahme, Wundversorgung, Blutzucker-Messungen) wird erstmals in die Pflegegradberechnung miteinbezogen ■ Über die pflegegradrelevanten Bereiche wird auch die Organisation der Hilfen untersucht (Wer kann Hilfe leisten? Reichen Angehörige oder muss professionelle Hilfe dazu geholt werden?) Pflegeerschwerde Faktoren Pflegeerschwerende Faktoren, die bereits im „alten“ Recht als pflegestufenerhöhend anerkannt waren, spielen auch bei den Pflegegraden eine Rolle, weil sie die Selbständigkeit in aller Regel schon sehr einschränken.

12 www.WALHALLA.de Gesetzliche Vorgaben: Pflegebedürfigkeitsbegriff und Regeln zur Begutachtung Erhöhte therapiebedingte Anforderungen und Belastungen ergeben sich aus diesen Diagnosen oder Gegebenheiten: Pflegeerschwerende Faktoren ■ Körpergewicht über 80 kg ■ Einsteifung großer Gelenke ■ Fehlstellungen der Extremitäten ■ hochgradige Spastik ■ einschießende unkontrollierte Bewegungen ■ eingeschränkte Belastbarkeit infolge schwerer Herz-Lungen-Störungen (kardiopulmonaler Dekompensation mit Orthopnoe, ausgeprägte zentraler und peripherer Zyanose, periphere Ödeme) ■ Atemstörungen ■ Schluckstörungen, Störungen der Mundmotorik ■ Erforderlichkeit mechanischer Harnlösung oder der digitaler Enddarmentleerung ■ Abwehrverhalten, fehlende Kooperation (z. B. bei geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen) ■ stark eingeschränkte Sinneswahrnehmung (Hören, Sehen) ■ starke therapieresistente Schmerzen ■ pflegebehindernde räumliche Verhältnisse ■ zeitaufwändiger Hilfsmitteleinsatz (z. B. fahrbare Lifter) Praxis-Tipp: Liegen solche pflegeerschwerenden Faktoren vorliegen, sollten Sie diese unbedingt dem Gutachter mitteilen. Prüfen Sie unbedingt, ob diese im Pflegegutachten ausreichend berücksichtigt wurden, denn im Regelfall führt das Vorliegen dieser pflegeerschwerenden Faktoren zu einem höheren Pflegegrad. Dies der „Schnelldurchlauf“ zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und dem neuen Begut- achtungsinstrument. Beides werde ich Ihnen noch ausführlicher in den kommenden Kapiteln erklären.

Vom Antrag bis zum Bescheid Vom Antrag bis zum Bescheid: So läuft das Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit ab Anspruch auf Information und Beratung _____________________________________________ 14 Antragstellung _____________________________________________________________________ 15 Begutachtungstermin _ _____________________________________________________________ 21 Entscheidung über den Antrag ______________________________________________________ 24 Bescheiderteilung __________________________________________________________________ 26 Widerspruch gegen den Bescheid ____________________________________________________ 26 2

14 www.WALHALLA.de Vom Antrag bis zum Bescheid Anspruch auf Information und Beratung Sie stehen mit der Frage, ob Pflegegrad beantragt werden soll oder nicht und wie das funktioniert, nicht alleine. Als Versicherte haben Sie und Ihre Angehörigen Anspruch auf Beratung. Aufklärung, Auskunftspflicht durch die Pflegekasse Pflicht der Pflegekassen ist es, Versicherte bzw. ihre Angehörigen bezüglich den mit Pflegebedürftigkeit zusammenhängenden Fragen in verständlicher Weise zu informieren und aufzuklären. Gemeint sind hier insbesondere allgemeine Fragestellungen zu ■ Leistungen der Pflegekassen und bestehenden Ansprüchen ■ Übermittlung von Gutachten und Rehabilitationsempfehlungen ■ Informationen zu einer der Pflegebedürftigkeit vorbeugenden Lebensführung. Diese allgemeinen Aufklärungs- und Auskunftsleistungen können durch Mitarbeiter der Pflege- kassen ohne Qualifikation als Pflegeberater geleistet werden. Praxis-Tipp: Auch der Telefonanruf, mit dem Sie oder Ihre Angehörigen mitteilen, dass Sie einen Antrag auf Einstufung in einen Pflegegrad machen möchten, gehört hierher. Sie werden nach dem Anruf ein Formular per Post erhalten, in dem nähere Informationen abgefragt werden (siehe dazu unten). Wenn Sie während des Telefonats Fragen haben, müssen diese beantwortet werden. Unmittelbar nach Eingang seines Antrags auf Leistungen muss der Versicherte zudem über seine konkreten Ansprüche informiert werden, insbesondere ■ auf seinen Anspruch auf kostenlose Pflegeberatung ■ Informationen zum nächstgelegenen Pflegestützpunkt, um die eigentliche Beratung wahr- zunehmen ■ auf Übermittlung von Adressen zugelassener ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen und von Anbietern von Betreuungs- und Entlastungsleistungen Wichtig: Diese Adressen versendet die Pflegekasse nicht von sich aus. Sie müssen konkret vom Versicherten angefordert werden. Wenn Sie das tun, ist die Pflegekasse zur Übermittlung verpflichtet. Fordern Sie dies ein, damit Sie einen Überblick gewinnen, welche Anbieter in Ihrer Region zur Verfügung stehen, die bei der Pflege unterstützen können. Kostenlose Pflegeberatung Als Versicherte haben Sie Anspruch darauf, dass Ihnen ein zuständiger Pflegeberater oder eine sonstige Beratungsstelle benannt wird, die – kostenlos (!) – Hilfe und Unterstützung bei Auswahl und Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten leisten. Dabei soll es einen festen Ansprechpartner geben, damit bei Beratungen „das Rad nicht immer wieder neu erfunden werden muss“. Sie können den Wunsch äußern, dass die Pflegeberatung bei Ihnen zuhause stattfindet. Auch Angehörige oder sonstige Ihnen vertraute Personen dürfen hier dabei sein, wenn Sie dies wünschen.

Antragstellung www.WALHALLA.de 15 Zeitablauf der Beratung – Zwei-Wochen-Frist Das Gesetz gibt vor, dass sofort nach Antragstellung von der Pflegekasse eine zuständige Kontaktperson und ein konkreter Beratungstermin benannt werden. Der Termin soll innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang durchgeführt worden sein. Teilweise arbeiten die Pflegekassen mit anderen Organisationen (kommunale Pflegestützpunkte, Wohlfahrtsorganisationen mit Beratungsstelle) zusammen. In diesem Fall muss ein sogenannter Beratungsgutschein ausgestellt werden; mit diesem Beratungsgutschein wird sozusagen „bezahlt“ (bzw. ist der Nachweis für die Beratungsstelle gegenüber der Pflegekasse, die diese Leistung vergütet). Kann die Pflegekasse diese Zwei-Wochen-Frist nicht einhalten, muss sie Ihnen einen Beratungsgutschein zusenden und Ihnen mitteilen, bei welcher unabhängigen Beratungsstelle Sie diesen einlösen können. Wichtig: Der Berufszweig „Pflegeberater“ bzw. „unabhängiger Pflegesachverständiger“ steckt leider noch in den „Kinderschuhen“ und ist noch viel zu wenig verbreitet, daher noch zu unbekannt. Und vergleichbar wie TÜV und DEKRA zum Beispiel ist der Medizinische Dienst und unabhängige Pflegesachverständige. Viele Kunden berichten, dass die gesetzlichen vorgeschriebenen Beratungsstellen nicht immer mit hoher Kompetenz beraten. Fragen Sie daher in Ihrem Bekanntenkreis, wer bereits Erfahrungen gemacht hat und gute, unabhängige Berater empfehlen kann. Kontinuierliche Betreuung durch die Pflegeberatung Diese Beratungspflicht gilt sowohl für die Erstantragstellung wie auch für spätere Anträge, ins- besondere für ■ Höherstufungen inklusive aller Umstellungsanträge auf ambulante und stationäre Pflege ■ Anträge auf Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege, Wohngruppenzuschlag und Pflegezeit ■ Wunsch nach Inanspruchnahme von Pflegekursen und individuellen häuslichen Schulungen ■ Entlastungsmöglichkeiten der Pflegepersonen Antragstellung Leistungen der Pflegeversicherung werden immer nur auf Antrag gewährt. Formale Voraussetzung ist, dass Sie in den letzten zehn Jahren mindestens zwei Jahre bei einer Pflegekasse versichert waren; eine Familienversicherung reicht dazu aus. Ein Antrag wird zudem nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn Sie wegen körperlicher und/ oder geistiger Defizite im Alltag für voraussichtlich mindestens sechs Monate die Hilfe ande- rer Menschen brauchen. Dabei kommt es auf die Prognose an. Sie müssen also nicht erst sechs Monate abwarten, um den Antrag zu stellen. Sie können das bereits dann machen, wenn Sie, Ihre

16 www.WALHALLA.de Vom Antrag bis zum Bescheid Angehörigen oder Ihr Arzt vermuten, dass Sie voraussichtlich für mindestens sechs Monate auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sein werden. Sie können den Antrag auf Feststellung eines Pflegegrades vor Ort bei der Pflegekasse stellen, ihn telefonisch übermitteln oder auch per Post schicken. Pflegegrad bei einem Pflegestützpunkt beantragen Möchten Sie den Antrag nicht selbst stellen, so können Sie alleine bzw. zusammen mit Ihrem Angehörigen einen kommunalen Pflegestützpunkt besuchen, sich beraten lassen und dort einen Antrag auf Pflegeleistungen stellen. Dieser ist dann verpflichtet, den Antrag an die Kasse weiterzuleiten. Als Antragseingang zählt der Tag, an dem Sie beim Berater den Antrag abgegeben haben. Antragsformulare erhalten Sie auch auf den Internetseiten der Pflegekassen zum Ausdrucken und zum elektronischen Ausfüllen. Sie können diese nutzen, müssen es aber nicht. Auch ein formloses Schreiben genügt. Praxis-Tipp: Ich rate dazu den Antrag grundsätzlich schriftlich zu stellen, weil es hier am wenigsten zu Unstimmigkeiten kommen kann, ob und wann der Antrag auch wirklich angekommen ist. Beweispflichtig ist der Antragsteller und bei Telefonaten wird ein Nachweis schwierig. Bei postalischer Antragstellung ist der Versand per Einschreiben/Rückschein zu empfehlen, damit Sie einen konkreten Nachweis für das Antragsdatum haben. Denn ab diesem Zeitpunkt besteht Anspruch auf die Leistungen der Pflegeversicherung, die bei Feststellung eines Pflegegrades rückwirkend gezahlt werden. Wichtig: Der Antrag muss vom Pflegebedürftigen persönlich unterschrieben werden. Falls er dazu nicht mehr in der Lage ist und ein Bevollmächtigter oder Betreuer bestellt wurde, ist ein Ver- tretungsnachweis (z. B. Vorsorgevollmacht, Kopie des Betreuungsausweises) oder auch eine spezielle Vollmacht, die zur Beantragung von Leistungen der Pflegeversicherung bevollmächtigt, erforderlich. Der Prozess der Einstufung beginnt mit dem Eingangsdatum des Antrags bei der Pflegekasse. In der Regel erhält der Antragsteller einen Eingangsbescheid mit der Information, dass das Gesuch nun bearbeitet wird. Allerdings kann dies von Kasse zu Kasse variieren. Wichtig: Der Versicherte bekommt nach der Bewilligung des Pflegegrades sein Geld rückwirkend ab Tag der Antragstellung ausbezahlt.

Antragstellung www.WALHALLA.de 17 Muster: Antrag auf einen Pflegegrad An die Krankenkasse – Pflegekasse – Name des Versicherten Straße PLZ/Ort Datum Versichertennummer Erstantrag Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit beantrage ich die Begutachtung zwecks Einstufung in einen Pflegegrad. Mit freundlichen Grüßen Muster: Verschlimmerungsantrag An die Krankenkasse – Pflegekasse – Name des Versicherten Straße PLZ/Ort Datum Versichertennummer Antrag auf Höherstufung Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit beantrage ich erneut die Begutachtung zwecks Einstufung in einen Pflegegrad. Begründung: Mein Gesundheitszustand hat sich wesentlich verschlechtert. Mit freundlichen Grüßen

18 www.WALHALLA.de Vom Antrag bis zum Bescheid Welche Angaben benötigt die Pflegekasse? Füllen Sie das zugesandte oder aus dem Internet heruntergeladene Formular vollständig aus, um Verzögerungen in der Antragsbearbeitung zu vermeiden. Allgemeine Angaben Die Pflegekasse stellt folgende Fragen: ■ Wer pflegt den Pflegebedürftigen? ■ Wer ist/sind der/die behandelnde/n Arzt/Ärzte? ■ Bestehen Ansprüche auf Beihilfen? ■ Ist die Pflegebedürftigkeit Folge eines Unfalls o. Ä.? ■ Wurden bereits Gelder von einem anderen Leistungsträger erhalten? Pflegesachleistungen oder Pflegegeld Die Pflegekasse benötigt die Angabe darüber, welche Leistungen Sie beantragen möchten: ■ Pflegesachleistungen, das heißt Hilfe/Unterstützung eines Pflegedienstes, einer Tagespflege- einrichtung oder einer stationären Einrichtung ■ Pflegegeld, da zu Hause von Angehörigen oder privaten Pflegepersonen gepflegt wird ■ Kombination aus Hilfe/Unterstützung und Pflegegeld ■ stundenweise Versorgung in einer Pflegeeinrichtung Merksatz: „Ohne professionelle Hilfe geht es um Pflegegeld, mit professioneller Hilfe um Sachleistungen.“ Das Kapitel 4 beschäftigt sich noch ausführlich mit den unterschiedlichen Leistungsarten. Sie können dort gezielt nachlesen, welche Leistungen je Pflegegrad zur Verfügung stehen. Gesetzliche Betreuung Angegeben werden muss darüber hinaus, ob eine gesetzliche Betreuung für den Versicherten besteht. Wichtig: Sollte der Antragsteller in einer stationären Einrichtung untergebracht sein, muss die Anschrift dieser Einrichtung selbstverständlich angegeben werden.

Die Ermittlung des Pflegegrades 58 www.WALHALLA.de Die Anlagen 1 und 2 zu § 15 SGB XI (Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument) geben die Regeln zur Berechnung des Pflegegrades vor Anlage 1 (zu § 15) Einzelpunkte der Module 1 bis 6; Bildung der Summe der Einzelpunkte in jedem Modul Modul 1: Einzelpunkte im Bereich der Mobilität Das Modul umfasst fünf Kriterien, deren Ausprägungen in den folgenden Kategorien mit den nachstehenden Einzelpunkten gewertet werden: Ziffer Kriterien selb- ständig über- wiegend selb- ständig über- wiegend unselbstständig unselbstständig 1.1 Positionswechsel im Bett 0 1 2 3 1.2 Halten einer stabilen Sitzposition 0 1 2 3 1.3 Umsetzen 0 1 2 3 1.4 Fortbewegen innerhalb des Wohn- bereichs 0 1 2 3 1.5 Treppensteigen 0 1 2 3 Modul 2: Einzelpunkte im Bereich der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten Das Modul umfasst elf Kriterien, deren Ausprägungen in den folgenden Kategorien mit den nachstehenden Einzelpunkten gewertet werden: Ziffer Kriterien Fähigkeit vor- handen/ unbeeinträchtigt Fähigkeit größtenteils vor- handen Fähigkeit in geringem Maße vor- handen Fähigkeit nicht vor- handen 2.1 Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld 0 1 2 3 2.2 Örtliche Orientierung 0 1 2 3 2.3 Zeitliche Orientierung 0 1 2 3 2.4 Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen 0 1 2 3

www.WALHALLA.de 59 Einzelpunkte der Module 1 bis 6 Ziffer Kriterien Fähigkeit vor- handen/ unbeeinträchtigt Fähigkeit größtenteils vor- handen Fähigkeit in geringem Maße vor- handen Fähigkeit nicht vor- handen 2.5 Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen 0 1 2 3 2.6 Treffen von Entscheidungen im Alltag 0 1 2 3 2.7 Verstehen von Sachverhalten und Informationen 0 1 2 3 2.8 Erkennen von Risiken und Gefahren 0 1 2 3 2.9 Mitteilen von elementaren Bedürfnissen 0 1 2 3 2.10 Verstehen von Aufforderungen 0 1 2 3 2.11 Beteiligen an einem Gespräch 0 1 2 3 Modul 3: Einzelpunkte im Bereich der Verhaltensweisen und psychische Problemlagen Das Modul umfasst dreizehn Kriterien, deren Häufigkeit des Auftretens in den folgenden Kategorien mit den nachstehenden Einzelpunkten gewertet wird: Ziffer Kriterien nie oder selten selten (ein- bis dreimal innerhalb von zwei Wochen) häufig (zweimal bis mehrmals wöchentlich, aber nicht täglich) täglich 3.1 Motorisch geprägte Verhaltensauf- fälligkeiten 0 1 3 5 3.2 Nächtliche Unruhe 0 1 3 5 3.3 Selbstschädigendes und auto- aggressives Verhalten 0 1 3 5 3.4 Beschädigen von Gegenständen 0 1 3 5 3.5 Physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen 0 1 3 5 3.6 Verbale Aggression 0 1 3 5 3.7 Andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten 0 1 3 5 3.8 Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen 0 1 3 5 3.9 Wahnvorstellungen 0 1 3 5

Die Ermittlung des Pflegegrades 60 www.WALHALLA.de Ziffer Kriterien nie oder selten selten (ein- bis dreimal innerhalb von zwei Wochen) häufig (zweimal bis mehrmals wöchentlich, aber nicht täglich) täglich 3.10 Ängste 0 1 3 5 3.11 Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage 0 1 3 5 3.12 Sozial inadäquate Verhaltensweisen 0 1 3 5 3.13 Sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen 0 1 3 5 Modul 4: Einzelpunkte im Bereich der Selbstversorgung Das Modul umfasst dreizehn Kriterien: Einzelpunkte für die Kriterien der Ziffern 4.1 bis 4.12 Die Ausprägungen der Kriterien 4.1 bis 4.12 werden in den folgenden Kategorien mit den nach- stehenden Punkten gewertet: Ziffer Kriterien selb- ständig über- wiegend selb- ständig über- wiegend unselbstständig unselbstständig 4.1 Waschen des vorderen Oberkörpers 0 1 2 3 4.2 Körperpflege im Bereich des Kopfes (Kämmen, Zahnpflege/Prothesen- reinigung, Rasieren) 0 1 2 3 4.3 Waschen des Intimbereichs 0 1 2 3 4.4 Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare 0 1 2 3 4.5 An- und Auskleiden des Oberkörpers 0 1 2 3 4.6 An- und Auskleiden des Unterkörpers 0 1 2 3 4.7 Mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken 0 1 2 3 4.8 Essen 0 3 6 9 4.9 Trinken 0 2 4 6 4.10 Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls 0 2 4 6

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