Grundlagen - SGB IX: Teilhabe und Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen

Grundlagen – SGB IX: Teilhabe und Reha- bilitation für Menschen mit Behinderungen Thomas Knoche Textausgabe mit praxisorientierter Einführung DNWXDOLVLHUWH $XʴDJH Mit den neuen Vorgaben zur Soldatenentschädigung

ISBN 978-3-8029-7229-4 € 14,95 [D] • AKTUELL • PRAXISGERECHT • VERSTÄNDLICH WISSEN FÜR DIE PRAXIS Rechtsgrundlagen kennen, verstehen und anwenden! Diese Arbeitshilfe enthält den aktuellen Gesetzestext des Neunten Buches Sozial- gesetzbuch (SGB IX) sowie die dazugehörigen Durchführungsverordnungen. Die Einführung gibt Überblick über die Rechtsmaterie, erläutert den dreiteiligen *HVHW]HVDXIEDX GLH /HLVWXQJVYRUDXVVHW]XQJHQ VRZLH 5HFKWH XQG 3ʴLFKWHQ GHU Berechtigten: • Allgemeine Leistungsgrundsätze • Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe • Leistungskatalog der Rehabilitationsleistungen • Individuelle Teilhabeplanung • Unterhaltssichernde Leistungen • Eingliederungshilfeleistungen • Bedarfsermittlung, Gesamtplanverfahren • %HVFK¦IWLJXQJVSʴLFKW EHL 6FKZHUEHKLQGHUXQJ • Rechte bei Schwerbehinderung Ideal geeignet, um sich in das Rechtsgebiet einzuarbeiten, für Aus- und Fortbildungen sowie zum schnellen Nachschlagen in der Praxis. Thomas Knoche, Diplom-Sozialpädagoge in der Behindertenhilfe, Fachautor von FOKUS Sozialrecht. www.walhalla.de

Vorwort Im Mittelpunkt des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) steht, Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohten Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Ziel der Sozialleistungen ist die Förderung der Teilhabe dieses Personenkreises an der Gesellschaft, insbesondere am Arbeitsleben. Dieses Ziel soll mit medizinischen, beruflichen und sozialen Leistungen schnell, wirkungsvoll, wirtschaftlich und auf Dauer erreicht werden. Diese grundsätzliche Zielsetzung hat sich mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG), ein in den letzten Jahren in Stufen in Kraft getretenes Gesetzespaket zur Verbesserung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, nicht geändert. Im Gegenteil: Mit diesem Reformgesetz soll eine umfassende Einbeziehung in die Gesellschaft ermöglicht und die UN-Behindertenrechtskonvention umfassend im deutschen Recht verankert werden. Das SGB IX hat seit 01.01.2020 folgende Struktur: & In Teil 1 (§§ 1–89) ist das für alle Rehabilitationsträger geltende Rehabilitations- und Teilhaberecht zusammengefasst. Er regelt, – welche Leistungen es gibt, –wer für die Leistungserbringung zuständig ist, – wie der Bedarf ermittelt wird, – wie das Beteiligungsverfahren des Betroffenen (Teilhabeplanverfahren) funktioniert, – welche Beratungsmöglichkeiten es gibt, – wie sich die Rehabilitationsträger untereinander Kosten erstatten. & InTeil 2 (§§ 90–150) wurde die zum 01.01.2020 aus dem SGB XII (= Sozialhilfe) herausgelöste und reformierte Eingliederungshilfe als „Besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen“ als eigenständiges Leistungsgesetz eingefügt. & InTeil 3 (§§ 151–241) findet sich das Schwerbehindertenrecht wieder. Weiterentwicklungen durch das Bundesteilhabegesetz betreffen im Wesentlichen die Stärkung des ehrenamtlichen Engagements der Schwerbehindertenvertretungen, die Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen in Werkstättenfür behinderte Menschen, Regelungen zur Benutzung www.WALHALLA.de 7

von Behindertenparkplätzen sowie die Schaffung eines Merkzeichens für taubblinde Menschen im Schwerbehindertenausweis. Die Einführung folgt dieser Einteilung. Sie erläutert praxisnah Bedeutung und Tragweite des SGB IX und macht es leicht, einenÜberblick über das aktuelle Recht zu gewinnen. In Kapitel 4 sind die gesetzlichen Grundlagen zu finden: das SGB IX mit Rechtsstand 01.01.2025 sowie dazugehörige Ausführungs- bzw. Durchführungsverordnungen. Thomas Knoche 8 www.WALHALLA.de

Begriff der Behinderung Bis zur Reform durch das Bundesteilhabegesetz wurde im SGB IX die Behinderung als Beeinträchtigung der Teilhabe bei nicht alterstypisch beeinträchtigtem Funktionszustand beschrieben. Durch das Bundesteilhabegesetz wurde der Begriff der Behinderung in § 2 SGB IX mit Geltung ab 01.01.2018 der UN-Behindertenkonvention und damit der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) angepasst. Nunmehr sind Menschen mit Behinderungen Personen, – die körperliche (eigens aufgeführt nun auch Sinnbeeinträchtigungen), seelische, geistigeBeeinträchtigungenhaben, –welcheuntypisch fürdasAlter sindund – (höchstwahrscheinlich) länger als sechs Monateandauern. Dies entspricht der bisherigen Definition. Neu durch das Bundesteilhabegesetz eingeführt wird als zusätzliches Merkmal – die Betrachtung der Wechselwirkung der Person und zur Umwelt (sog. einstellungs- und umweltbedingten Barrieren) und wie diese die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft beeinträchtigt. Mit dieser Neudefinition kommt zum Ausdruck, dass sich die Behinderung erst durch die gestörte oder nicht entwickelte Interaktion zwischen dem Individuum und seiner materiellen und sozialen Umwelt manifestiert. Sie orientiert sich dabei am bio-psycho-sozialen Modell der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit – ICF (www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICF/_node.html), das Behinderung ebenfalls als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Gesundheitsproblem und den personen- und umweltbezogenen Kontextfaktoren definiert. Grafisch kann diese Wechselwirkung wie folgt dargestellt werden: 1 12 www.WALHALLA.de

.=$,"@'2?$,@$%=68!@ /$#!88 #!C 7-; :!@<&#?!=>@"C$38!5 NS*;8@,$*"9;;9M=8@& ?,*= Q=E@W$*"9L QM=>*=(8@W9"?@*@ 8@, G;9=8W98=*@ <W9"7"9J9*@ 4E=9"R">E9"?@ K0*"V$EC*I /U5*V9G (EW9?=*@ >*=;?@C*R?&*@* TEW9?=*@ Beispiel: Das Vorliegen einer chronischen Krankheit nach dieser Definition bedeutet noch nicht, dass eine Behinderung vorliegt, denn dies hängt nicht allein von einer ärztlichen Diagnose ab. Zu berücksichtigen ist auch, ob und wie sich die Beeinträchtigung im persönlichen Einzelfall auf die gesellschaftliche Teilhabe auswirkt (in § 2 SGB IX Wechselwirkung genannt). In Bezug auf die Leistungsgewährung ist zu berücksichtigen, dass zusätzlich zum Behindertenbegriff des § 2 SGB IX gegebenenfalls – je nachdem, welcher Leistungsträger für die Rehabilitationsleistung zuständig ist – Einschränkungen des Begriffs zu berücksichtigen sind. So regelt beispielsweise § 19 SGB III, dass Personen zur Beanspruchung der Arbeitsförderungsleistungen als behindert gelten, „deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX nicht nur vorübergehendwesentlichgemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen, einschließlich lernbehinderter Menschen“. Begriff der Behinderung 1 www.WALHALLA.de 13

Leistungsgruppen und Rehabiliationsträger § 1 SGB IX betont die Selbstbestimmung und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft von Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohten Menschen. Dies soll das SGB IX ermöglichen und Benachteiligungen vermeiden und ihnen entgegenwirken. Dabei soll den besonderen Bedürfnissen von Frauen und Kindern mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder sowie Menschen mit seelischen Behinderungen oder von einer solchen Behinderung bedrohter Menschen Rechnung getragen werden. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft könnenbei Bedarf erbracht werden (§ 5 SGB IX): 1. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation 2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben 3. unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen 4. Leistungen zur Teilhabe an Bildung 5. Leistungen zur sozialen Teilhabe Wer die Rehabilitationsträger sind, ist in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 SGB IX bestimmt. Dort ist auch bestimmt, für welche Leistungsgruppen nach § 5 SGB IX sie zuständig seinkönnen. Danach ergeben sich folgende Zuständigkeiten: Träger Medizinische Rehabilitation Teilhabe am Arbeitsleben Unterhaltssichernde Leistungen Teilhabe an Bildung Soziale Teilhabe Gesetzliche Krankenkassen X X Bundesagentur für Arbeit X X Gesetzliche Unfallversicherung X X X X X Gesetzliche Rentenversicherung X X X Träger der Alterssicherung der Landwirte X X Träger der Sozialen Entschädigung und der Soldatenentschädigung X X X X X Öffentliche Jugendhilfe X X X X Träger der Eingliederungshilfe X X X X Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe 1 14 www.WALHALLA.de

Wie die Tabelle zeigt, können unterschiedliche Träger zuständigsein (sog. Trägerzuständigkeit im gegliederten System). Dies war bereits vor der Reform des Bundesteilhabegesetzes so. Mit dem Bundesteilhabegesetz eingeführt wurde aber, dass Leistungsberechtigte nun Leistungen „wie aus einer Hand“ erhalten. Grundsätzlich gibt es daher nur noch einen „leistenden Rehabilitationsträger“, der sich um die Bedarfsermittlung, Koordinierung und Leistungserbringung zu kümmernhat. Das Zuständigkeitsverfahren gestaltet sich wie folgt (§ 14 SGB IX): & Wenn der erstangegangene Reha-Träger für die gesamte beantragte Leistung zuständigist, wird er zwei Wochen nach Antragseingang zum leistenden Rehabilitationsträger. & Ist der erstangegangene Reha-Träger insgesamt nicht zuständig, leitet er den Antrag innerhalb von zwei Wochen an einenzweiten Reha-Träger weiter, der bei Zuständigkeit zum leistenden RehaTrägerwird. Über den weitergeleiteten Antrag ist dann innerhalb einer Drei-Wochen-Frist zu entscheiden. & Wenn auch der zweite Reha-Träger insgesamt nicht zuständig ist, kann er den Antrag in Absprache an einen dritten Reha-Träger weiterleiten. Damit wird dieser – auch bei Nichtzuständigkeit – leistender Reha-Träger. Über den Antrag ist in diesen Fällen innerhalb einer Drei-Wochen-Frist zu entscheiden; Fristbeginn ist dabei der Antragseingang beim zweiten Reha-Träger. Eine Fristverlängerung ist daher ausgeschlossen (§ 14 Abs. 3 SGB IX). Fällt ein Teil der beantragten Leistungen nicht in die dem jeweiligen Rehabilitationsträger zugeordneten Leistungsgruppen, besteht die Möglichkeit, den Antrag zu „splitten“ (§ 15 Abs. 1 SGB IX). Der angegangene Reha-Träger kann den Antrag also auch nur teilweise weiterleiten, wenn er für einen Teil der erforderlichen Leistungen nicht Reha-Träger sein kann (z. B. ist die gesetzliche Rentenversicherung nicht für Leistungen der sozialen Teilhabe zuständig). Benötigt der leistende Reha-Träger die Mitwirkung weiterer RehaTräger, um den Bedarf zu ermitteln und einen Teilhabeplan erstellen zukönnen, so fordert er von diesen entsprechende Feststellungen an (§ 15 Abs. 2 SGB IX) und berät diese mit den beteiligten Trägern. Es gilt dabei eine Frist von zwei Wochen (Ausnahme: Gutachten – hier gilt eine Frist von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens, zur Notwendigkeit eines Gutachtens siehe auch § 17 SGB IX): Leistungsgruppen und Rehabiliationstr-ger 1 www.WALHALLA.de 15

& Gehen die Feststellungen innerhalb dieser Frist ein, so ist der leistende Reha-Träger an diese gebunden. & Antworten die Reha-Träger nicht innerhalb der vorgegebenen Frist, muss der leistende Reha-Träger den Rehabilitationsbedarf nach allen in Betracht kommenden Leistungsgesetzen umfassend feststellen! Der Antragsteller bekommt abschließend einen Bescheid vom leistenden Reha-Träger, in dem alle Leistungen zusammengefasst sind („Leistungen wie aus einer Hand“). Bei Beteiligung mehrerer Träger beträgt die Frist zur Entscheidung dabei sechs Wochen ab Antragseingang beim ersten Reha-Träger (§ 15 Abs. 4 SGB IX). Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Eine Leistungsgruppe im Recht der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sind nach § 5 SGB IX die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, geregelt in § 42 bis § 48 SGB IX. Rehabilitationsträger der medizinischen Leistungen können nach § 6 SGB IX alle Träger sein mit Ausnahme der Bundesagentur fürArbeit. Unterschiede zwischen den Trägern bestehen hinsichtlich des Leistungskatalogs und der Zugangsvoraussetzungen zu den Leistungen. Hier gelten die jeweiligen Leistungsgesetze der Träger (z. B. gesetzliche Rentenversicherung siehe § 9 SGB VI, § 15 SGB VI; gesetzliche Krankenversicherung siehe § 11 Abs. 2 SGB V und der Katalog der Kassenleistungen; Eingliederungshilfeträger siehe § 109 SGB IX [siehe auch Kapitel 2]; Kinder- und Jugendhilfeträger siehe § 35a SGB VIII für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche). Ziel und Aufgabe der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 42 Abs. 1 SGB IX): & Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhütenoder & Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zuüberwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern. Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe 1 16 www.WALHALLA.de

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation umfassen insbesondere: & Behandlung durchÄrzte, Zahnärzte und Angehörige anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung ausgeführt werden, einschließlich der Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln & Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder & Arznei- und Verbandmittel & Heilmittel einschließlich physikalischer Sprach- und Beschäftigungstherapie & Psychotherapie alsärztliche und psychotherapeutische Behandlung & Hilfsmittel & Digitale Gesundheitsanwendungen & Belastungserprobung und Arbeitstherapie Bestandteil dieser Leistungen sind auch medizinische, psychologische undpädagogische Hilfen. Allerdings muss im Einzelfall geprüftwerden, ob diese Hilfen erforderlich sind, um die Rehabilitationsziele zu erreichen. Mit diesen Hilfen sind insbesondere gemeint: & Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung & Aktivierung von Selbsthilfepotentialen & mit Zustimmung der Leistungsberechtigten Information und Beratung von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen & Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten & Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen & Training lebenspraktischer Fähigkeiten & Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen der medizinischen Rehabilitation Leistungen zur medizinischen Rehabilitation 1 www.WALHALLA.de 17

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