Grundlagen SGB XIV - Soziales Entschädigungsrecht

Grundlagen – SGB XIV: Soziales Entschädigungsrecht Johannes Friedrich Textausgabe mit praxisorientierter Einführung Erhöhung der Entschädigungszahlungen DNWXDOLVLHUWH $XʴDJH

www.walhalla.de ISBN 978-3-8029-7228-7 € 14,95 [D] • AKTUELL • PRAXISGERECHT • VERSTÄNDLICH WISSEN FÜR DIE PRAXIS Rechtsgrundlagen kennen, verstehen und anwenden! Diese Arbeitshilfe enthält den aktuellen Gesetzestext des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB XIV) „Soziales Entschädigungsrecht“ sowie die dazugehörigen Durchführungsverordnungen. Die Einführung gibt Überblick über die reformierte Opferentschädigung, erläutert *HVHW]HVDXIEDX /HLVWXQJVYRUDXVVHW]XQJHQ GHV 6*% ;,9 VRZLH 5HFKWH XQG 3ʴLFKWHQ der Berechtigten: • Entschädigungstatbestände für Opfer von Gewalttaten, von Kriegsauswirkungen, Schädigungen durch Schutzimpfungen • Leistungsgrundsätze und Leistungsformen • Erweiterung des Gewaltbegriffs • Einsatz Schneller Hilfen, z. B. Traumambulanz, psychotherapeutische Frühinter- vention, Fallmanagement • Anspruchsgrundlagen für Leistungen der Krankenbehandlung, zur Teilhabe, bei 3ʴHJHEHG¾UIWLJNHLW • (QWVFK¦GLJXQJV]DKOXQJHQ %HUXIVVFKDGHQVDXVJOHLFK XQG VRQVWLJH ʳQDQ]LHOOH +LOIHQ Ideal geeignet, um sich in das Rechtsgebiet einzuarbeiten, für Aus- und Fortbildungen sowie zum schnellen Nachschlagen in der Praxis. Johannes Friedrich ist Richter am Sozialgericht Regensburg und Lehrbeauftragter der 7HFKQLVFKHQ +RFKVFKXOH 'HJJHQGRUI LP 6WXGLHQJDQJ Ȩ=HUWLʳ]LHUWHU %HUXIVEHWUHXHUȦ Beim Zentrum Bayern Familie und Soziales in Regensburg war er für die erste Schwerpunktstelle Bayerns für Opferentschädigung verantwortlich.

ƒVorwort Nach einem guten Jahrzehnt der Vorbereitung in Form von Diskussionsforen, Werkstattgesprächen und Gesetzesentwürfen trat am 1. Januar 2024 das Kernstück der Neuregelung des Sozialen Entschädigungsrechts in Kraft. Die Erwartungen waren vielfältig: Die Verbände forderten den Erhalt und Ausbau der bisherigen Ansprüche sowohl im Bereich der Erweiterung der Anspruchsvoraussetzungen als auch der Leistungen. Die Politik musste darauf achten, keine konturlosen und ausufernden Entschädigungstatbeständezueröffnen. Die bisher bereits anerkanntenGeschädigten wollten keinesfalls Leistungseinbußen akzeptieren, bestenfalls ein „Leistungsupgrade“ ins neue Recht. Und die Verwaltung erhoffte sich – angesichts sehr komplexer Entschädigungstatbestände und Leistungsregeln bei notorischer Unterbesetzung – pragmatischeLösungen, die möglichst effizient umsetzbar sein sollten. Es ging also beileibe nicht nur darum, das bisherige Bundesversorgungsgesetz (BVG) abzulösen, welches ursprünglich als eines der ersten großen Sozialgesetze der Nachkriegszeit der Versorgung der Kriegsbeschädigten samt Angehöriger und Hinterbliebener diente, deren Zahl mit zunehmender Zeitdauer naturgemäß immer kleiner wurde. Auch die sogenannten Nebengesetze (also die Gesetze, die sich kraft Verweisung im reichhaltigen Leistungsspektrum des BVG bedienten) erschienen mehr und mehr reformbedürftig, allen voran das 1976 in Kraft getretene Opferentschädigungsgesetz. Was nach langem Mahlen der Mühlsteine der Gesetzgebung zum Vorschein gekommen ist, wird sich nun in der Praxis beweisen müssen. Bereits jetzt darf positiv vorangestellt werden, dass die Struktur des SGB XIV klar und übersichtlich ist. Die Beträge der früheren Versorgungsrenten wurden bei den neuen Entschädigungszahlungen erheblich erhöht. Gerade im Bereich der Opferentschädigung ist sicher auch die ein oder andere Forderung der Opferschutzverbände berücksichtigt worden. Am meisten Enttäuschungdürfte sich auf Seiten der Versorgungsverwaltung breitmachen, denn nennenswerte Verfahrenserleichterungen finden sich kaum. Im Gegenteil: Die Wahlrechte zwischen neuem und altem Recht dürften zunächst für eine zusätzliche Arbeitsbelastung sorgen. Die vorliegende Einführung ist der Versuch einer pragmatischen Handreichung mit Blick auf die Neuerungen. Die konkrete Rechtsgewww.WALHALLA.de 7

staltung – das zeigt sich schon jetzt – wird ohnehin in vielen Bereichen der Rechtsprechungüberantwortet sein. Im Anschluss an die Einführung sind der aktuelle Gesetzestext des „Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch – Soziales Entschädigungsrecht (SGB XIV)“ sowie einige Durchführungsverordnungen mit Rechtsstand 1. Juli 2025 abgedruckt, sodass beim Lesen des Erläuterungstextes parallel dazu in den entsprechenden Normen nachgeschlagen werden kann. Das ermöglicht einen schnellen, effektiven Überblick und fördert das Verständnis zu Aufbau, Inhalten und Wirkweisen des SGB XIV. Aus Gründen der Kürze und besseren Lesbarkeit wurden sprachlich alle Genderformen im generischen Maskulinum zusammengefasst. Selbstverständlich ist dies nicht diskriminierend gemeint, es sind ausdrücklich alle Menschen angesprochen. Johannes Friedrich 8 www.WALHALLA.de

1.1 Zweck und Berechtigteƒ Gleich zu Beginn in §11) Satz 1 deutet der Gesetzgeber den Kerngedanken der Sozialen Entschädigung an: die Unterstützung von Menschen, die durch ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben – wobei es einschränkend nur um Ereignisse geht, für die die staatliche Gemeinschaft eine besondere Verantwortung2) trägt. Der Gesetzgeber hat sich dabei der überfälligen Aufgabe angenommen und das Recht der Sozialen Entschädigung (kurz: SozE) neu strukturiert. Das bedeutet nicht, dass die bisherigen Grundsätzeüber den Haufen geworfen wurden, sondern dass das bisherige Recht neu geordnet wurde. Auch sprachliche Anpassungen sind davon erfasst: Während das BVG nochüberwiegend von „Beschädigten“ und deren Hinterbliebenen sprach, modernisiert der Gesetzgeber des SGB XIV dies in §2 zum Oberbegriff der „Berechtigten“, die sich wiederum in die eigentlichen „Geschädigten“ sowie deren Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende aufgliedern: Berechtigte Beschreibung Norm Geschädigte Personen, die durch ein schädigendes Ereignis unmittelbar eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben §2 Abs. 2 Angehörige Ehegatten sowie Kinder und Eltern von Geschädigten (Als Kinder gelten auch in den Haushalt Geschädigter aufgenommene Stiefkinder sowie Pflegekinder im Sinne des §2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Bundeskindergeldgesetzes.) §2 Abs. 3 1) Paragrafen ohne Gesetzesangabe sind solche des SGB XIV. 2) Etwa im Bereich der Opferentschädigung, weil trotz des staatlichen Gewaltmonopols eine Straftat nicht verhindert werden konnte; oder im Bereich von Schäden bei Impfungen, die vom Staat empfohlen oder angeordnet wurden. 1 14 www.WALHALLA.de

Berechtigte Beschreibung Norm Hinterbliebene Witwen, Witwer und Waisen, Eltern sowie Betreuungsunterhaltsberechtigte einer an den Schädigungsfolgen verstorbenen Person (Als Waisen gelten auch in den Haushalt der verstorbenen Person aufgenommene Stiefkinder sowie Pflegekinder im Sinne des §2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Bundeskindergeldgesetzes.) §2 Abs. 4 Nahestehende Geschwister sowie Personen, die mit Geschädigten eine Lebensgemeinschaft führen, die der Ehe ähnlich ist §2 Abs. 5 Hinweis: Nicht alle diese Gruppen haben dieselben Rechte und Ansprüche, weswegen eine genaue Zuordnung auch praktisch besonders wichtig ist. Während die meisten dieser Begriffe selbsterklärend sind, wird die eheähnliche Lebensgemeinschaft einer konkreten Ausgestaltung durch die Rechtsprechung bedürfen. Der Gesetzgeber hält sich hier kurz und verlangt eine „gewisse, einer Ehe ähnliche Stabilität der Paarbeziehung“, wobei auf die Umstände der Partnerschaft abzustellen sei und eine reine Wohngemeinschaft nicht ausreiche.3) Letztlich ist es nahe liegend, hier auf die Kriterien der eheähnlichen Gemeinschaft abzustellen, wie sie von der Rechtsprechung etwa im Bereich des §7 SGB II zur Bedarfsgemeinschaft entwickelt wurden.4) Im Wesentlichen unverändert übernommen wird ein zentraler Grundgedanke der bisherigen SozE: dasKausalitätsprinzip.Gleich§1 Abs. 1 macht dies unmissverständlich klar, wenn bestimmt wird, dass (nur) Menschen unterstützt werden, die durch ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben; es gibt also weiterhin keine Leistungen allein für den Umstand, z. B. überhaupt 3) Vgl. BT-Drs. 19/13824, S. 170. 4) Beispielsweise BSG, Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 34/12 R; BSG, Urteil vom 12.10.2016 – B 4 AS 60/15 R; BSG, Urteil vom 27.02.2008 – B 14 AS 23/07 R. Zweck und Berechtigte 1 www.WALHALLA.de 15

Opfer einer Tat im Sinne der Opferentschädigung geworden zu sein, ohne dadurch gesundheitliche Einbußen erlitten zu haben. 1.2 Grundtatbestände (schädigende Ereignisse) im Überblick §1 Abs. 2 grenzt die SozE nach dem SGB XIV auf vier Grundtatbestände(schädigende Ereignisse) ein: Normenbereiche Schädigende Ereignisse (Grundtatbestände) §§13–20 bestimmte Gewalttaten (= das vormalige OEG) §§21, 22 bestimmte Kriegsauswirkungen beider Weltkriege (= das bisherige BVG) §23 bestimmte Ereignisse im Zusammenhang mit der Ableistung des Zivildienstes (= das vorherige ZDG) §24 bestimmte Schutzimpfungen und andere Maßnahmen spezifischer Prophylaxe (= bisher Teil des IfSG) Überblick zur Gesetzesstruktur 1 16 www.WALHALLA.de

2 Die Grundtatbestände für Leistungen Grundtatbestand 1: Opfer bestimmter Gewalttaten ................ 18 Grundtatbestand 2: Kriegsauswirkungen beider Weltkriege .. 26 Grundtatbestand 3: Gesch digte durch Ereignisse im Zivildienst ................................................................................... 27 Grundtatbestand 4: Gesch digte durch Schutzimpfungen und spezifische Prophylaxe ............................................................... 28 2 www.WALHALLA.de

2.1 Grundtatbestand 1: Opfer bestimmter Gewalttatenƒ Die §§13 und 14 regeln die neuen Grundtatbestände der Opferentschädigung: Normen Schädigendes Ereignis §13 Abs. 1 Nr. 1 Vorsätzlicher, rechtswidriger, unmittelbar gegen eine Person gerichteter tätlicher Angriff (körperliche Gewalttat) oder Folgen dessen rechtmäßiger Abwehr §13 Abs. 1 Nr. 2 Sonstiges vorsätzliches, rechtswidriges, unmittelbar gegen die freie Willensentscheidung einer Person gerichtetes schwerwiegendes Verhalten (psychische Gewalttat) §13 Abs. 2 Regelbeispiele für „schwerwiegendes Verhalten“ nach Abs. 1 Nr. 2 Gleichstellungstatbestände §14 Abs. 1 Nr. 1 Vorsätzliche Beibringung von Gift §14 Abs. 1 Nr. 2 Fehlgehen der Gewalttat, sodass sie eine andere Person trifft als die Person, gegen die sie gerichtet war §14 Abs. 1 Nr. 3 Angriff in der irrtümlichen Annahme des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes §14 Abs. 1 Nr. 4 Wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen §14 Abs. 1 Nr. 5 Erhebliche Vernachlässigung von Kindern §14 Abs. 1 Nr. 6 Herstellung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung von Kinderpornografie nach §184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 StGB §14 Abs. 2 Satz1 Schädigung durch Miterleben einer Tat oder Auffinden des Opfers (Schockschaden 1) §14 Abs. 2 Satz2 Schädigung durch Überbringung einer Nachricht vom Tode oder der schwerwiegenden Verletzung des Opfers (Schockschaden 2) 2 18 www.WALHALLA.de

Manche der oben dargestellten Schädigungsereignisse sind praktisch kaum relevant (etwa das Fehlgehen der Verletzungshandlung), sodass hier nur auf das Kernstück sowie die wesentlichen Neuerungen eingegangen werden soll. Kernelement ist und bleibt der bisher schon bekannte Grundbegriff des tätlichen Angriffs, den das Bundessozialgericht5) im Jahr 2014 einschränkend definiert hat: Bereits zuvor hatte das BSG dafüreinein feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung gefordert, d. h. eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person, bei der der Täter körperlich (physisch) auf einen anderen einwirkt. Ein aggressives Verhalten des Täters verlangte das BSG jedoch nicht zwingend, sodass auch jemand unter dem Schutz des OEG stand, der zum körperlichen Widerstand nicht fähig ist. Kein tätlicher Angriff lag aber vor, wenn sich Einwirkungen – ohne Einsatz körperlicher Mittel – allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellten und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielten. 2014 erfolgte jedoch eine klare Absage an die bisherige Rechtsprechung6), nach der eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person auch ohne physische Einwirkung (Schläge, Schüsse, Stiche, Berührung etc.) bereits aufgrund der objektiven Gefährlichkeit der Situation (z. B. Drohung mit geladener Schusswaffe) für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs ausreichte. Das BSGüberantwortete die Entscheidungüber einen weitergehenden Schutzbereich explizit dem Gesetzgeber. Der hat nunmehr „geliefert“ und den neuen Grundtatbestand der psychischen Gewalttat eingeführt, bei dem wegen seiner Unbestimmtheit bereits jetzt absehbar ist, dass viele juristische Gefechte folgen werden, bis einigermaßen Klarheit über die Konturen bestehen wird. Immerhin so viel ist klar: Das Verhalten muss gegen die freie Willensentscheidung orientiert und es muss (wie bisher) vorsätzlich und rechtswidrig sowie unmittelbar gegen eine Person gerichtet sein. Doch was heißt das konkret? 5) BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 9 V 1/13 R Rn. 19 ff. unter Verweis auf weitere BSG-Rechtsprechung, insb. Urteil vom 29.04.2010 – B 9 VG 1/09 R, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R sowie Beschlüsse vom 25.02.2014 - B 9 V 65/13 B – und vom 17.09.2014 bzw. 22.09.2014 – B 9 V 27 bis 29/14 B. 6) BSG, Urteile vom 24.07.2002 – B 9 VG 4/01 R – „Drohung mit einer scharf geladenen und entsicherten Schusswaffe“ und vom 02.10.2008 – B 9 VG 2/07 R – „bloße Drohung zu schießen, ohne Besitz einer Schusswaffe“. Grundtatbestand 1: Opfer bestimmter Gewalttaten 2 www.WALHALLA.de 19

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