Grundlagen der Waffen- und Munitionstechnik Thomas Enke DNWXDOLVLHUWH $Xʴ DJH Neu: Schallmessverfahren, nukleare Sprengstoffe, elektrische Waffen u. v. m.
Waffentechnik: Grundlagen für Aus- und Weiterbildung In kurzen Kapiteln bietet dieses Buch einen Einblick in Historie, Gegenwart und derzeitige Entwicklung der Waffentechnik. Enthalten sind sowohl die Grundzüge der Ballistik als auch Beschreibungen der gängigen Waffen- und Munitionsgattungen. Grundlagen der Waffen- und Munitionstechnik unterstützt in der militärfachlichen Ausbildung in der Bundeswehr und in Polizeieinheiten. Das Nachschlagewerk bietet aber auch dem interessierten Kenner einmalige Einblicke. Aus dem Inhalt: • Ballistik • Explosionsstoffe • Rohrwaffen • Lafetten und Anbauteile • Begriffsbestimmungen bei Waffen • Rohrwaffengebundene Munition • Nicht rohrwaffengebundene Munition • Flugkörper und Drohnen • Sonstige Munition (z. B. Feuerwerk) Oberstleutnant d. R. Dipl.-Ing. Thomas Enke war seit 1982 ausnahmslos in der Munitionstechnik bzw. Schießsicherheit auf wechselnden Dienstposten tätig und hat unter anderem im Rahmen der Kampfmittelbeseitigung an 7 Einsätzen in verschiedenen Einsatzländern teilgenommen. Außerdem war er Berater des Inspekteurs Heer in den Belangen der munitionstechnischen Sicherheit und Schießsicherheit. Derzeitig ist er als Reservist in die Weiterentwicklung von Übungsplätzen und Schießanlagen der Bundeswehr eingebunden. WISSEN FÜR DIE PRAXIS ISBN 978-3-8029-6024-6 € 39,95 [D] • AKTUELL • PRAXISGERECHT • VERSTÄNDLICH www.WALHALLA.de
1 Schnellübersicht Vorbemerkungen zur fünften Auflage 17 Kapitel 1: Ballistik 21 Kapitel 2: Explosivstoffe 95 Kapitel 3: Rohrwaffen 141 Kapitel 4: Lafetten und Anbauteile 197 Kapitel 5: Begriffsbestimmung bei Waffen 241 Kapitel 6: Rohrwaffengebundene Munition 281 Kapitel 7: Nicht rohrwaffengebundene Munition 337 Kapitel 8: Flugkörper 363 Kapitel 9: Sonstige Munition 387 Kapitel 10: (An-)Zündertechnik 413 Anhang 429 Stichwortverzeichnis 449 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
www.WALHALLA.de 17 Vorbemerkungen zur fünften Auflage Dieses Buch ist ein Nachschlagewerk ohne großen wissenschaft- lichen Anspruch. Es erklärt kurz und knapp die Zusammenhänge in der Waffen- sowie Munitionstechnik, ohne dabei auf die mathematische und physikalische Herleitung einzugehen. Denn dies würde bei dem Umfang der Themen bei Weitem den Rahmen des Buches sprengen und vielen Interessierten die Lust am Lesen nehmen. Hier sollen Historie, Gegenwart und derzeitige Entwicklungen aufgezeigt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zum einen Forschung und Entwicklung im Bereich der Waffen- und Munitionstechnik ein rasantes Tempo vorgelegt haben, zum anderen aber auch Kurzzeitereignisse beschrieben werden, die trotz der umfangreichen Forschungen bis heute nur durch Näherungen mathematisch in den Griff zu bekommen sind. Auch braucht eine gute Waffenentwicklung von der ersten Idee bis zur ausgereiften Waffe mehrere Jahrzehnte. Ein Umstand, den viele Armeen in den vergangenen Jahren schmerzlich zu spüren bekamen, weil Waffen und Munition nicht im gewünschten Rahmen funktionierten. Hinzu kommt, dass in Kriegszeiten die Neu- und Weiterentwicklungen von Waffen und Munition noch einmal einen weiteren Schub bekommen und so auch weniger ausgereifte Projekte für „fronttauglich“ erklärt werden. Dies zeigt sich vor allem bei Lösungen, die aufgrund von Ressourcenmangel zum Einsatz kommen. Einige Definitionen werden Anlass zu Diskussionen geben, da sich die Begriffe in den vergangenen Jahren teilweise mehrfach geändert haben. Als Beispiel kann hier der Mörser, auch Granatwerfer oder Minenwerfer genannt werden. Der Mörser ist keine Steilfeuerwaffe, muss nicht unbedingt ein Vorderlader sein und kann auch auf einer Kanonenlafette eingesetzt werden. Ein zweites Beispiel findet man bei den heutigen Panzerhaubitzen in Abgrenzung zu den Kanonen. Eine frühere Unterscheidung nach der Rohrlänge, Flach- oder Steilfeuer sowie in der ballistischen Form der Geschosse existiert nicht mehr. Hier müssen also neue Definitionen gefunden werden. Die Probleme mit der Terminologie wurden bei dem Beispiel „Mörser“ bereits kurz angesprochen. Im gesamten Buch wird die Terminologie genutzt, wie sie innerhalb der Bundeswehr durch die Publikation in Vorschriften, Regelungen und Munitionsmerkblättern vorgegeben ist. Dies trifft daher nicht immer den umgangssprachlichen Gebrauch,
18 www.WALHALLA.de Vorbemerkungen zur fünften Auflage führt aber auch zu eindeutigen Begriffen. Bei schwerwiegenden Abweichungen folgt in einer Fußnote eine Erläuterung. Mit betrachtet werden muss die Waffen- und Munitionsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Neben der Schienenkanone wurden Laserwaffen bis zur Einsatzreife entwickelt, es finden sich heute dank der Elektronik miniaturisierte Zeitzünder, die beim Abschuss mit dem Laserentfernungsmesser der Waffe kommunizieren, und es lassen sich Suchzünder herstellen, die Abbilder der zu bekämpfenden Ziele im Infrarot-, Radar- und sichtbaren Bereich gespeichert haben. Dies wiederum erfordert neuartige Abwehrmöglichkeiten gegen diese Munition, die ebenfalls beschrieben werden müssen. Dabei erlangt auch ein „altes“ Verfahren wie das Schallmessen eine erneute Bedeutung. Ebenfalls neu ist eine kurze Abhandlung über die Auswirkungen von Kernwaffendetonationen. Soweit ich ermitteln konnte, ist dies ein Novum. Bei allen deutschen Publikationen über Waffen- und Munitionstechnik wurde dieses Thema gemieden. Zuletzt muss auch die Proliferation (und Industriespionage) angesprochen werden. Auch hier gibt es durch die globale Vernetzung der Informationswege nicht nur Nachbauten bekannter Waffen- und Munitionssysteme, sondern auch ggf. dem regionalen Umfeld und der Rohstofflage entsprechend eigenständige Entwicklungen, die zumindest einer Erwähnung wert sind. Ein Aufschlagzünder oder ein Sturmgewehr „Made in Germany“ kann heute durchaus eine Kopie aus dem Mittleren Osten oder aus Afrika sein. Einen Aufschwung gab es hier nach dem Zweiten Weltkrieg, hier scheint es zurzeit zu einem Déjà-vu zu kommen.1 Nach wie vor wurde auf Bilder verzichtet. Dies ist zum einen dem Copyright geschuldet, zum anderen lassen sich anhand von einfachen Skizzen der Aufbau und die Funktionsweise von Waffen und Munition leichter beschreiben. Aber ein solches Buch schreibt sich nicht allein. Erneut gilt mein Dank vor allem den Kameraden aus der Feuerwerkerei, die mit Rat 1 Beim Vergleich zwischen dem russischen L/L-LFK R-3 Wympel (NATO: AA-2 „Atoll“) und dem US-amerikanischen L/L-LFK AIM-9 Sidewinder gingen die Gemeinsamkeiten so weit, dass sogar die Schrauben zwischen Gefechtskopf und Triebwerkseinheit gleich waren.
www.WALHALLA.de 19 Vorbemerkungen zur fünften Auflage und Tat sowie unermüdlicher Fehlersuche mitgeholfen haben, dieses Buch zu erstellen. „Bei strenger Pflicht – getreu und schlicht!“2 Es kommen immer noch sehr viele Informationen aus dem Bereich der Leser und Kameraden, die geholfen haben, nicht nur Quellen zu verifizieren und weitere Hinweise zu geben. Hinzu kommen hier auch Anregungen, weitere Gebiete in das Buch mit aufzunehmen. So weit wie möglich setze ich diese um. Aber dabei muss beachtet werden, dass das Buch weiterhin handhabbar bleibt. Ein weiterer kräftiger Dank geht an meine Frau, die die Hauptlast der Suche nach Rechtschreib- und Verständnisfehlern getragen hat. Strausberg, im Herbst 2024 Thomas Enke 2 Feuerwerker Hinze am 8. September 1861 zum 25-jährigen Bestehen des preußischen Feuerwerkerpersonals.
1 Kapitel 1: Ballistik 1.1 Innenballistik . ....................................................................... 22 1.1.1 Der Anzündvorgang ............................................................. 22 1.1.2 Der Gasdruckverlauf und die Beschleunigung des Geschosses ...................................................................... 23 1.1.3 Rückstoß und rücklaufende Massen .................................... 28 1.1.4 Energiebilanz des Schusses .................................................. 29 1.1.5 Rohrschwingungen ............................................................... 31 1.1.6 Verschleiß .............................................................................. 32 1.2 Abgangsballistik ................................................................... 33 1.3 Die Außenballistik der Geschosse ........................................ 35 1.3.1 Geschossflugbahn im luftleeren Raum ............................... 36 1.3.2 Reale Geschossflugbahn ....................................................... 41 1.3.3 Die reale Geschossflugbahn als Formel ............................... 50 1.4 Raketenballistik .................................................................... 51 1.4.1 Ballistische Abgrenzung ....................................................... 51 1.4.2 Abgangsballistik der Rakete ................................................ 52 1.4.3 Aktive Flugphase – Flug bis zum Brennschluss ................... 53 1.4.4 Antriebsfreier Flug ............................................................... 54 1.5 Bombenabwurf ..................................................................... 55 1.6 Zielballistik .......................................................................... 56 1.6.1 Treffwahrscheinlichkeit....................................................... 56 1.6.2 Das Eindringen der Geschosse in das Ziel ......................... 65
22 www.WALHALLA.de 1 Kapitel 1: Ballistik Die Lehre vom Schuss lässt sich für Rohrwaffen in insgesamt vier Abschnitte unterteilen. Mit dem Anzünden der Treibladung, dem Brechen des Schusses, beginnt der Ablauf im Waffenrohr. Mit Verlassen des Rohres folgt die kurze Phase der Abgangsballistik, gefolgt von der Außenballistik, dem reinen Flug in Richtung Ziel. Spätestens mit dem Auftreffen auf das Ziel wird der Vorgang durch die Zielballistik abgeschlossen. Die einzelnen Abschnitte können – je nach Waffe und Munition – fließend sein. Bei der Raketenballistik entfällt die Innenballistik weitgehend. Auch hier gibt es fließende Übergänge, so z. B. bei Flugkörpern, die aus Waffenrohren verschossen werden können.3 1.1 Innenballistik 1.1.1 Der Anzündvorgang Die Vorgänge beim Schuss beginnen mit dem Anzünden der Treibladung. Bei frühen Entwicklungen des Mittelalters wurden Lunten oder die Funken eines Steinschlosses genutzt. Diese Verfahren waren zum einen unzuverlässig (Feuchtigkeit) und zum anderen zeitlich nicht festzulegen. Hinzu kamen bei den Pistolen und Gewehren eine Blendung durch die Stichflamme der entzündeten Treibladung sowie eine Rauchentwicklung, die dem Schützen kurzfristig die Sicht nahm. Je nach Länge der Lunte konnten die Anzündvorgänge mehrere Sekunden kürzer oder länger dauern, ein nicht haltbarer Vorgang, wenn das zu treffende Ziel in Bewegung war. Heute wird der Anzündvorgang mechanisch per Schlag oder elektrisch ausgelöst. Der Anzündvorgang sollte bei voll brauchbarer4 Munition von Handwaffen innerhalb einer Millisekunde, bei größeren Kalibern im Bereich von 20 bis 30 Millisekunden beginnen. Hier wird eben diese Zeitspanne benötigt, damit die chemische Reaktion anlaufen und entsprechend Wärmeenergie erzeugt werden kann. Diese Zeitspanne wird Anzündzeitverzug genannt. Nicht berücksichtigt wird hierbei der Zeitverzug, der ggf. durch die Waffenanlage bedingt ist, weil der Richtvorgang noch nicht abgeschlossen ist oder noch Daten an das Geschoss übermittelt werden müssen. 3 Mehr dazu in Kapitel 1.4.2. 4 Voll brauchbar heißt, dass diese Munition ohne Einschränkungen verwendet werden kann. In der Bundeswehr wird diese Munition mit dem Zustandscode „A“ gekennzeichnet.
www.WALHALLA.de 23 1.1 Innenballistik 1 Die Stichflamme aus dem Treibladungsanzünder hat die Treibladung zuverlässig und vollständig zu entfachen. Geschieht dies nicht, können eine Spätzündung sowie ein Versager die Folge sein. Eine Spätzündung kann auch noch Minuten nach Beginn des Anzündvorganges auftreten und ist vor allem abhängig von der Temperatur innerhalb der Waffe und von der Feuchte des Treibladungspulvers. Daher sind bei Nichtauslösung eines Schusses vor einem Entladen der Waffe unbedingt Wartezeiten einzuhalten, die je nach Waffe bis zu 30 Minuten dauern können. Bei einem zu frühen Entladen können bei Patronenmunition die unverkammerten Hülsen aufreißen und sich Splitter bilden, bei Artilleriegeschützen mit Beuteltreibladungen kann es nach dem Öffnen des Verschlusses zu Stichflammen kommen, die in den Kampfraum zurückschlagen. 1.1.2 Der Gasdruckverlauf und die Beschleunigung des Geschosses Der Gasdruckverlauf ist von verschiedenen Faktoren abhängig: ■ Form und Zusammensetzung des Treibladungspulvers, ■ Temperatur im Ladungsraum, ■ Temperatur des Treibladungspulvers, ■ Patronenmunition oder getrennt zu ladende Munition, ■ Waffenrohr mit Zügen und Feldern oder Glattrohr, ■ Reibung im Waffenrohr und ■ Rohrlänge. Bei einer Verbrennung im Ladungsraum oder der Patronenhülse verbrennt das Treibladungspulver immer nur an der Oberfläche, dies kann für eine geometrische Gestaltung des Pulvers genutzt und so können dem Pulver Verbrennungseigenschaften zugeschrieben werden. Treibladungspulver kann daher als degressives, neutrales oder progressives Treibladungspulver hergestellt und genutzt werden. ■ Degressives, auch offensives und schnell abbrennendes Pulver genannt wird in Blättchen- oder Kugelform gepresst. Hier nimmt die Oberfläche des Pulvers mit zunehmendem Abbrand ab. Damit verringert sich über die Zeit die Produktion an Treibgasen. Pistolen und Mörser haben relativ kurze Waffenrohre, hier ist ein schneller Aufbau des Gasdruckes gewünscht. Auch sollen möglichst wenige unverbrannte Treibladungsreste vor der Mündung abbrennen, um den Schützen nicht zu blenden.5 5 Doch Vorsicht bei dem ähnlich aussehenden Treibladungspulver für Manöverpatronen. Dieses Pulver ist für einen sehr schnellen, fast aggressiven Abbrand mit hohem Aufkommen an Treibladungsgasen konstruiert, da hier das Geschoss für einen Druckaufbau fehlt und trotzdem die Waffenfunktionen erhalten bleiben sollen.
24 www.WALHALLA.de Kapitel 1: Ballistik 1 ■ Neutrales Pulver hat die Form einer langen Makkaroni. Von außen nimmt die brennende Oberfläche ab, von innen dagegen zu. Somit bleibt die Abbrandfläche gleich. Dies führt zu einer gleichmäßigen Beschleunigung, wie sie z. B. bei Hohlladungspatronen und auch zunehmend bei Patronen für Gewehre erwünscht ist. ■ Progressives , langsamer abrennendes Pulver, zumeist ein Zylinder mit 7 bis 32 axialen Bohrungen, führt über die Brennzeit zu einer zunehmenden Gasproduktion, da die Oberfläche zunimmt. Dies ist bei sehr langen Waffenrohren gewünscht, da hier das aufzufüllende Volumen hinter dem Geschoss sehr groß wird, und bei sehr hohen Mündungsgeschwindigkeiten z. B. für die flügelstabilisierte KE6-Munition. Bild 1.1: Kornarten beim Treibladungspulver Vor dem Schuss wird das Treibladungspulver entweder in der Patronenhülse oder bei getrennt zu ladender Munition in den Ladungsraum eingebracht. Das Volumen ist in beiden Fällen so definiert, dass es die maximal zulässige Treibladung aufnehmen kann, aber auch bei geringeren Pulvermengen eine sichere Anzündung gewährleistet ist. Dies ist vor allem bei Artilleriemunition mit stark wechselnden Ladungsmengen wichtig. Kleine Ladungsräume führen bei konstanter Pulvermenge schnell zu höheren Drücken und Verbrennungsgeschwindigkeiten als größere Ladungsräume. Daher ist es vor allem bei getrennt zu ladender Munition wichtig, ein Geschoss immer möglichst gleichmäßig anzusetzen, da es ansonsten zu unterschiedlichen Verbrennungsgeschwindigkeiten und damit zu Unter6 Die Abkürzungen werden in Anhang erläutert.
www.WALHALLA.de 25 1.1 Innenballistik 1 schieden in der Mündungsgeschwindigkeit kommt. Dies hat dann Auswirkungen auf die Treffgenauigkeit. Gerade bei getrennt zu ladender Munition wird das Metall des Ladungsraumes durch die aggressiven Pulvergase und die hohen Temperaturen stark belastet. Dies führt im Laufe der Nutzung zu netzartigen Ausbrüchen des Materials und somit zu einer Vergrößerung des Ladungsraumes. Damit ergibt sich für stark beanspruchte Waffen eine Leistungsminderung, die neben einer Materialschwächung berücksichtigt werden muss. Auch im Übergangsbereich zwischen Ladungsraum und Waffenrohr kommt es im Laufe der Nutzung zu Auswaschungen und bei sehr starker Beanspruchung zu Ausbrüchen, die ggf. das Waffenrohr schädigen oder auch zu Rohrzerlegern führen können. Die Verbrennungsgeschwindigkeit des Treibladungspulvers ist besonders vom Druck im Ladungsraum abhängig. Während Treibladungspulver – mit Ausnahme von Schwarzpulver – unverkammert recht harmlos abbrennt, steigt in einem abgeschlossenen Ladungsraum der Druck schnell stark an. Wachsender Druck im Ladungsraum führt dann zu einer erhöhten Gasproduktion und dies zu einer weiteren Druckerhöhung.7 Die Verbrennungsgeschwindigkeit steigt dabei linear zur Druckerhöhung an.8 Als Faustformel gilt, dass ein Gramm Schwarzpulver 0,33 l Gas erzeugt, wohingegen modernes Treibladungspulver eine Ausbeute von 0,75 l Gas hat. Je höher der Druck, umso höher steigt die Verbrennungsgeschwindigkeit an. Eine natürliche Grenze setzt hier die Schallgeschwindigkeit in den heißen und stark komprimierten Treibladungsgasen. Bei ca. 2500 m/s ist die maximale Verbrennungsgeschwindigkeit erreicht, somit lassen sich Geschosse mit herkömm- lichen Treibladungspulvern nur theoretisch bis auf diese Geschwindigkeit beschleunigen. In der Praxis dürfte die Grenze bei 2000 m/s erreicht sein, da durch Wärmeverluste, Einbußen im Rohr sowie Un- dichtigkeiten zwischen Geschoss und Waffenrohr Verluste auftreten. Bei Patronenmunition muss das Geschoss vor der ersten Bewegung im Waffenrohr den Ausziehwiderstand aus der Patronenhülse überwinden. Bei kleineren Kalibern werden die Patronenhülsen zumeist werkseitig an die Geschosse angewürgt, um das Treibladungspulver vor Feuchtigkeit und dem Herausrieseln zu schützen. Bei größeren Kalibern werden die Geschosse nur vor dem Verschuss auf die Hülse 7 Siehe J. P. Großkreutz, Grundlagen der Ballistik – Waffentechnik – Munitionstechnik, Technische Schule für Landsysteme, Aachen 2017. 8 Eine einfache Abschätzung ergibt das Verbrennungsgesetz von Krupp und Schmitz aus dem Jahr 1913: dy/dt = f(y) • p mit den Variablen y für die Verbrennungsgeschwindigkeit, t für die Zeit und p für den Druck. Diese Abschätzung gilt für Drücke bis etwa 4000 hPa.
26 www.WALHALLA.de Kapitel 1: Ballistik 1 aufgesteckt. Hier dient die Hülse mehr zur Abdichtung und Kühlung des Ladungsraumes. Das Überwinden des Ausziehwiderstandes lässt sich in dem Diagramm des Gasdruckverlaufes als erste Spitze wiederfinden. Danach erfolgt eine Freiflugphase, wobei das Geschoss den Abstand zwischen Hülsenmund und dem eigentlichen Waffenrohr mit den Zügen und Feldern überwindet. Das Einpressen in die Züge und Felder führt dann zu einer weiteren Druckspitze. Anschließend steigt der Druck bis zu einem Maximum recht gleichmäßig. Ein Maximum ist dann erreicht, wenn die Gasproduktion das frei werdende Volumen im Waffenrohr nicht mehr ausgleichen kann, da das Geschoss sich mehr und mehr – dabei schneller werdend in Richtung der Rohrmündung – bewegt. Bild 1.2: Zeit- und Druckverlauf im Waffenrohr bei Nutzung einer Patrone Legende: t0: Einschlagen des Schlagbolzens auf dem Treibladungsanzünder t1: Reaktion im Treibladungsanzünder beginnt t2: Das Geschoss überwindet den Ausziehwiderstand aus der Patronenhülse. t2‘: Das Geschoss wird in die Züge und Felder gepresst. t3: Das Geschoss bewegt sich vom Hülsenmund bis zur Waffenmündung (die Geschosslaufzeit). t4: Das Geschoss hat die Waffenrohrmündung erreicht. t5: Maximaler Gasdruck t4–t0: Schusszeit Das Waffenrohr muss in der Lage sein, mindestens den maximalen Gasdruck auszuhalten. In Deutschland unterliegen alle Waffen der sogenannten Beschusspflicht. In der Regel wird dabei eine Waffe mit einer um 30 % erhöhten Treibladung beschossen. Wenn die Waffe diese Prüfung besteht, wird sie mit einem Beschusszeichen
www.WALHALLA.de 37 1.3 Die Außenballistik der Geschosse 1 (Schießen in der oberen Winkelgruppe) erreicht man die gleiche Schussweite wie bei 45° – n° (Schießen in der unteren Winkelgruppe). Da hier bei einer vorgegebenen Schussweite unterschiedliche Geschossflugzeiten (die Geschossflugzeit steigt mit zunehmender Rohrerhöhung an) auftreten, kann man so mit einem Geschütz zwei Geschosse zur gleichen Zeit im Ziel einschlagen lassen, sofern die Flugzeiten weit genug differieren und das Geschütz schnell genug richten kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bedingt durch die längere Flugzeit des Geschosses in der oberen Winkelgruppe auch die später noch zu betrachtenden Faktoren (Wetter, Erddrehung etc.) länger auf das Geschoss einwirken können. Somit ist die Treffgenauigkeit in der oberen Winkelgruppe schlechter. Das Schießen in der oberen Winkelgruppe war das klassische Einsatzgebiet der Steilfeuerwaffen, der Mörser und Haubitzen. Die un- tere Winkelgruppe wurde von den Flachfeuerwaffen, den Kanonen und den meisten Handwaffen genutzt. Bei der Artillerie verschwimmt diese Unterscheidung, da die modernen Mörser und Panzerhaubitzen sehr lange kanonenartige Waffenrohre haben und in beiden Winkelgruppen schießen können. Bild 1.5: Die Geschossflugbahn Eine vollständige Flugbahngleichung im luftleeren Raum erhält man durch die Wurfparabel: y = x • tan α – (g • x) / (2 v0 2 • cos2 α) Im luftleeren Raum ist der Abgangswinkel α gleich dem Aufschlagwinkel α‘. Nach der Hälfte der Flugstrecke (xG) erreicht das Geschoss die Gipfelhöhe ymax. Variiert man in dieser Gleichung bei vorgegebener Mündungsgeschwindigkeit den Abgangswinkel, bekommt man als umhüllende aller möglichen Geschossflugbahnen die sogenannte Sicherheits-
38 www.WALHALLA.de Kapitel 1: Ballistik 1 parabel. Außerhalb dieser Parabel kann bei vorgegebener Mündungsgeschwindigkeit und bei waagerechter Ziellinie kein Ziel erreicht werden. Die Besonderheiten sind hierbei für α = 45° die maximale Geschossflugweite und für α = 90° die maximale Geschossflughöhe ymax. Außer für diesen Abgangswinkel können alle Ziele in der oberen oder der unteren Winkelgruppe erreicht werden. Bild 1.6: Die Sicherheitsparabel An Bild 1.6 ist ablesbar, dass es zu jedem Zielpunkt zwei unterschiedliche Flugbahnen mit unterschiedlichen Geschossflugzeiten gibt. Variiert man bei einem Artilleriegeschütz die Treibladungsmassen und ist das Geschütz in der Lage, Richtbewegungen und Ladevorgänge schnell genug auszuführen, so ist es in Abhängigkeit von der Treib- ladung möglich, mehrere – bei der Panzerhaubitze 2000 bis zu fünf – Geschosse gleichzeitig in ein Ziel zu bringen. Die Höchstschussweite kann allerdings in diesem Fall nicht erreicht werden, da man für drei Schuss eine schwächere Treibladung mit einsetzen muss. 1.3.1.2 Schießen bei einer geneigten Ebene Liegen Waffe und Ziel nicht auf einer gleichen Höhe, ist die Ziellinie nicht mehr waagerecht. Hier spricht man vom „Verschwenken der Flugbahn“. Würde man den Abgangswinkel nicht verändern und bergauf schießen, ergibt sich so ein Kurzschuss, schießt man bergab, ergibt sich ein Weitschuss. Also müssen in beiden Fällen die Abgangswinkel verändert werden. Eine einfache Lösung gibt es nicht. Auch die gängigen Regeln aus dem Bereich der Jagd helfen nicht weiter:
www.WALHALLA.de 39 1.3 Die Außenballistik der Geschosse 1 „Bergüber halt drüber, bergunter halt drunter“ oder „Bergauf, berg- unter, halt immer was drunter“ und „Schießt du runter, halte drunter, schießt du rauf, halte drauf“. Wobei bei diesen Regeln sicherlich auch die Position des Wildes im Gelände sowie die Anordnung der inneren Organe in Bezug auf die Schussrichtung mit einbezogen werden müssen.23 Einfache Formellösungen gibt es auch nicht. Noch gut nutzbar ist die Lendersche Formel, mit der Annahme, dass die Schrägschussweite in etwa der Schussentfernung in der Ebene entspricht. Der Winkel Y beschreibt hier den Höhenunterschied h zur Schussent- fernung in der Ebene x, der Winkel α den Aufsatzwinkel für eine Schussentfernung in der Ebene. Damit errechnet sich der benötigte Aufsatzwinkel b wie folgt: Bild 1.7: Schräger Schuss bergauf b = 0,5 • (arc sin (sin (2 • α) • cos2 Y + sin Y) – g) mit tan Y = h/x In der Schießlehre der Bundeswehr wird bei Handfeuerwaffen nicht auf das Schießen in der schiefen Ebene eingegangen. Dies ist verständlich, da bei kleinen Höhenunterschieden bis ca. +/– 25° und flachen 23 Gem. http://www.http://deutscher-jagdblog.de/schiessen-hochgebirge/ hat ein Winkelschuss zwar Auswirkungen auf die Treffpunktlage, ist allerdings kaum jagdlich relevant. Schießt man z. B. im Hochgebirge auf Distanzen bis 150 m und mit einem Winkel unter 45° kann man ohne Verlagerung des Haltepunktes auf Gamswild schießen und das Tier letal treffen. Siehe dazu auch PIRSCH 14/2002 vom Deutschen Landwirtschaftsverlag GmbH, München.
www.WALHALLA.de 139 2.7 Nukleare Sprengstoffe 2 kern. Die Halbwertszeit des instabilen Atoms kann sich von Bruchteilen einer Sekunde bis zu mehreren Millionen von Jahren erstrecken. Die Massezahl des Atomkerns nimmt bei der Absonderung des Heliumions um vier ab. ■ Die b-Strahlung tritt bei dem Zerfall von leichten und schweren Atomkernen auf. Mit der Aussendung eines Elektrons wird auch ein Neutrino frei, welches sich aber aufgrund seiner elektrischen Neutralität und geringen Masse nur schwer beobachten lässt. Bei der b-Strahlung werden ein Elektron und ein Positron emittiert. Hier gibt es zwei unterschiedliche Zerfallsarten. – Der Beta-Minus-Zerfall führt zur Umwandlung eines Neu- trons in ein Proton und ein Elektron. Das Elektron wird dabei emittiert. – Beim Beta-Plus-Zerfall wird ein Proton in ein Neutron umgewandelt. Dabei fängt das Proton ein Elektron aus der Elektronenhülle ein. Praktisch wird so ein Positron ausgesandt. ■ Die g-Strahlung ist eine sehr energiereiche elektromagnetische Wellenstrahlung mit hoher Frequenz. Gerade Atomkerne mit einem b-Zerfall befinden sich in einem angeregten Zustand. Durch das Ausstrahlen eines Gammaquadranten (Zeitdauer ca. 10–14 s) werden diese Atome in den Grundenergiezustand überführt. g-Strahlung tritt auch unmittelbar bei einer Kernspaltungsdetonation auf. Wenn bei der Kernspaltung frei gewordene schnelle Neutronen mit hoher Geschwindigkeit auf einen Atomkern prallen, wird ein Teil der kinetischen Energie auf den Atomkern übertragen und dieser in einen angeregten Zustand versetzt. Haben die Neutronen nach mehreren Zusammenstößen einen Großteil der kinetischen Energie verloren, können sie von nicht spaltbaren Atomkernen zu einem „Compound-Kern“ eingefangen werden. Auch hier wird durch die Emission von g-Strahlung der Anregungszustand abgebaut. Dabei verändert sich weder die Massen- noch die Ordnungszahl des emittierenden Atomkerns. Neben der radioaktiven Strahlung dürfen die anderen Effekte nicht außer Acht gelassen werden. Thermische Strahlung und Druck machen die Hauptanteile an der Energieaufteilung aus. Dabei ist zu beachten, dass die Temperatur im Detonationsbereich bis auf 10 Millionen °C anwachsen kann. Der nukleare elektromagnetische Impuls liegt in der Energieverteilung bei unter 1 % und kommt erst bei Detonationen in großen Höhen zum Tragen.135 135 Siehe dazu Kapitel 5.7.2.
140 www.WALHALLA.de Kapitel 2: Explosivstoffe 2 Bild 2.17: Energieaufteilung bei einer Kernspaltungsdetonation Zur Abschätzung der Auswirkungen einer Kernwaffendetonation soll die nachfolgende Tabelle136 dienen. Dabei ist zu beachten, dass hier nur der Bereich der taktischen Kernwaffen bis 100 kt TNT-Äquivalent betrachtet wird. Siehe dazu auch die Tabelle in Kapitel 2.2.1. Detonationsstärke 1 kt 10 kt 20 kt 50 kt 100 kt Maximale Steighöhe des Atompilzes 3700 m 8000 m 10.500 m 12.500 m 14.300 m Anfangsstrahlung größer 30 Sv 550 m 900 m 1000 m 1150 m 1300 m Anfangsstrahlung 7 Sv*) 650 m 1100 m 1200 m 1400 m 1600 m Anfangsstrahlung 1 Sv**) 1050 m 1500 m 1650 m 1850 m 2050 m Verbrennungen 3. Grades***) 350 m 900 m 1200 m 1900 m 2600 m Verbrennungen 1. Grades***) 600 m 1600 m 2100 m 3200 m 4200 m Schwere Lungenschäden***) 230 m 500 m 650 m 850 m 1100 m Schwere Trommelfell- schäden***) 500 m 1100 m 1400 m 1900 m 2400 m Glasbruch bei 100 hPa***) 1000 m 2300 m 2800 m 3800 m 5000 m Dazu folgende Anmerkungen: *) Letale Dosis **) Frühsymptome nach zwei Stunden ***) Für eine tiefe Luftdetonation sind die Druckradien um 10 % und die Verbrennungs- radien um 80 % zu erhöhen. 136 Michael Schrenk, Atombomben, Truppendienst Nr. 387, Bundesministerium für Landesverteidigung, Wien 2022.
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