Zuwanderung von Fachkräften - Neue Wege

Zuwanderung von Fachkräften – Neue Wege Hans-Peter Welte Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung: Ein Leitfaden für die Praxis

Das neue Recht verständlich erklärt Am 7. Juni 2019 hat der Bundestag das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet. Das Gesetz hat zum Ziel, die Attraktivität des Standortes Deutschland für ausländische Fachkräfte zu erhöhen. Dies soll sowohl durch die Neuregelung der Erwerbsmigration in Kombination mit Verfahrenserleichterungen als auch durch eine qualitativ ausgerichtete (UZHLWHUXQJ GHU EHUXʴLFKHQ $XVELOGXQJVP¸JOLFKNHLWHQ HUUHLFKW ZHUGHQ Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom 16. August 2023 hat insbesondere den Zweck, dass durch die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens für eine gezielte und gesteuerte Einwanderung aus Drittstaaten zusätzliche Fachkräfte gewonnen werden. Die im Interesse des Fachkräftebedarfs liegende Ausweitung der Zugangsmöglichkeiten in der Arbeitsmigration, mit der eine Erweiterung des behördlichen Prüfungsrahmens bei steigender Fallzahl einhergeht, erzeugt einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, der nicht ohne Kapazitätserweiterung im Behördenbereich bewältigt werden kann. In diesem Fachbuch wird außerdem die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/1883 vom 20. Oktober 2021 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von DrittVWDDWVDQJHK¸ULJHQ ]XU $XV¾EXQJ HLQHU KRFK TXDOLʳ]LHUWHQ %HVFK¦IWLJXQJ XQG ]XU $XIhebung der Richtlinie 2009/50/EG in nationales Recht behandelt. Das Fachbuch beschreibt die wesentlichen Neuerungen und erklärt die Rechtsänderungen für einen Zugang zur Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet sowie für Berufsausbildung und Studium. Es gibt zudem einen umfassenden Einblick in die Neureglungen im Bereich der Erwerbsmigration. Dr. Hans-Peter Welte ist Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie Dozent bei Verwaltungsakademien in Sachsen. Der als Praktiker wie als Lehrender versierte Dr. Hans-Peter Welte ist Herausgeber der Loseblattsammlungen Aufenthaltsgesetz – Kommentar und des Zuwanderungs- und Freizügigkeitsrechts (ZFR) im WALHALLA Fachverlag. Zudem leitet er Fortbildungen, insbesondere für Kommunen und Sonderbehörden. Er war viele Jahre auf dem Gebiet des Ausländerrechts beim Regierungspräsidium Tübingen, Innenministerium Baden-Württemberg und Bundesministerium des Innern tätig. www.WALHALLA.de WISSEN FÜR DIE PRAXIS ISBN 978-3-8029-3006-5 € 34,95 [D] • AKTUELL • PRAXISGERECHT • VERSTÄNDLICH

Schnellübersicht VII VI V IV III II I Einleitung 19 Fachkräfteeinwanderungsgesetz 27 Zugang zur Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet 43 (Berufs-)Ausbildung und Studium 61 Erwerbsmigration 121 Zentrale Ausländerbehörden – Verfahrensbeschleunigung 239 Literaturverzeichnis 253 Stichwortverzeichnis 257

Einleitung 20 www.WALHALLA.de Einleitung Vorwort Die Bundesrepublik Deutschland geht zur Deckung des Fachkräftebedarfs neue Wege. Für diesen Zweck wurde im Aufenthaltsgesetz ein Punktesystem eingeführt, das die Arbeitssuche auf der Grundlage einer Chancenkarte erleichtert. Außerdem wird ein breit angelegter Spurwechsel für ausreisepflichtige Ausländer, deren Asylgesuch keinen Erfolg hatte, in die Arbeitsmigration nach erfolgreicher Berufsausbildung ermöglicht. Dafür wurde neben der Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG und § 32 BeschV eine neue Rechtsgrundlage in § 16g AufenthG geschaffen. Dieses Buch über die Fachkräfteeinwanderung wurde unter Berücksichtigung der Art. 1 bis 3 und Art. 12 des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung (FEWG),1 der Art. 2 und 3 des Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes2 und des Art. 7 Nr. 1 bis 5 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (vom 21.2.2024 BGBl. I 2024 Nr. 54) verfasst. Im Rahmen des FEWG wird nach Änderung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG der Schwerpunkt des Gesetzeszwecks nicht mehr auf die Begrenzung der Zuwanderung, sondern nur noch auf die Steuerung der Zuwanderung gelegt. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat daher auch den Zweck, die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bereich Arbeitsmigration zu steuern und zu kontrollieren und daher eine unkontrollierte Zuwanderung, mit der ein erhöhtes Konfliktpotenzial im Sicherheitsbereich eingehen kann, nicht zuzulassen. Davon ausgenommen sind gemäß § 5 Abs. 3 Satz 5 i. V. m. § 10 Abs. 3 Satz 5 AufenthG jedoch Asylsuchende, die vor dem 29.3.2023 in das Bundesgebiet eingereist sind, den Asylantrag zurückgenommen haben und den Fachkräfteregelungen der §§ 18a, 18b oder 19c Abs. 2 AufenthG unterfallen. Das Gesetz hat insbesondere den Zweck, dass durch die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens für eine gezielte und gesteuerte Einwanderung aus Drittstaaten zusätzliche Fachkräfte gewonnen werden. Damit soll ein Beitrag zu einem nachhaltigen gesellschaft1 Vom 16.8.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 217). 2 Vom 20.12.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 390).

Vorwort 21 www.WALHALLA.de lichen Wohlstand geleistet werden. Aufbauend auf dem langfristig positiven Entwicklungspfad der Fach- und Arbeitskräfteeinwanderung sollen die Zahlen für die Erwerbseinwanderung deutlich gesteigert werden.3 In §§ 18g bis 18i AufenthG wird die Richtlinie (EU) 2021/1883 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2021 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/50/EG des Rates (ABl. L 382 vom 28.10.2021, S. 1) in nationales Recht umgesetzt. Die Regelungen über die Fachkräfteeinwanderung sind in ihrer materiellen Ausgestaltung nicht darauf ausgerichtet, effiziente Behördenabläufe zur Gewährleistung einer gut funktionierenden Migrationsverwaltung zu etablieren. In diesem Umfeld müssen die zuständigen Behörden im Interesse einer ordnungsgemäßen rechtsstaatlichen Verfahrensweise durch geeignete flankierende Maßnahmen (z. B. Digitalisierung,4 Laufbahnöffnung für Absolventen des integrierten Jura-Bachelors, Fortbildung) in die Lage versetzt werden, gesetzliche Vorgaben praktisch und zeitnah in rechtlich geordneten Bahnen umzusetzen. Ansonsten könnte das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit nach Art. 19 Abs. 3 GG berührt sein. Die im Interesse des Fachkräftebedarfs liegende Ausweitung der Zugangsmöglichkeiten in der Arbeitsmigration, mit der eine Erweiterung des behördlichen Prüfungsrahmens bei steigender Fallzahl einhergeht, erzeugt einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, der nicht ohne strukturelle und fachspezifische Kapazitätserweiterung im Behördenbereich bewältigt werden kann.5 Dass dies spürbare Auswirkungen auf den Behördenablauf und dessen Belastung hat, liegt auf der Hand.6 Diese Umstände können die zuständigen Behörden – wie sich gezeigt hat – an die Grenze ihrer Belastbarkeit 3 Vgl. BT-Drucks. 20/6500, Seite 2; Siegert, Das weiterentwickelte Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Auf Sand gebaut – Ohne „Wumms“ und Erfolgsaussicht, ZAR 2023, 246–255. 4 Vgl. Eichenhofer, J./Priebe, Digitalisierung und Migrationsrecht – Eine Einführung in die Grundprobleme, ZAR 2024, 395–404. 5 Vgl. Kluth, Das Fachkräfteparadoxon, ZAR 2023, 145–146; Klaus, Akute Überforderung von Ausländer- und Staatsangehörigkeitsbehörden (k)ein Grund für Untätigkeit, InfAuslR 2023, 303–306. 6 Vgl. Uznanski, Die Fachkräftesäule des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung – „good on paper“?, ZAR 2023, 187, 193.

Einleitung 22 www.WALHALLA.de bringen und sich auch zum Nachteil der Fachkräftegewinnung auswirken. Verzögerungen wegen Überlastung im Verfahrensablauf dürfen nicht zum Nachteil des Betroffenen geraten.7 Für die Komplexität des Migrationsrechts auch im Bereich der Erwerbsmigration ist von Bedeutung, dass der nationale Gesetzgeber nach vorrangigem Unionsrecht verpflichtet ist, die in diesem Bereich ergangenen EU-Richtlinien in nationales Recht fristgerecht zu transferieren und deren Umsetzung möglichst anwendungsfreundlich, transparent und praxisnah zu gestalten. Für das Verständnis und die Transparenz der Sachzusammenhänge ist eine Zusammenschau der praxisorientierten Erläuterungen mit den aktuellen ausländerrechtlichen Vorschriften unerlässlich. Zu empfehlen ist hier die Textausgabe „Ausländerrecht, Migrations- und Flüchtlingsrecht“, ebenfalls im WALHALLA Fachverlag erschienen. Bitte beachten Sie: Dieses Praxishandbuch behandelt selbstverständlich Problem- und Fallkonstellationen bei Erwerbsmigration und Ausbildung sowohl von Ausländern wie auch von Ausländerinnen und Intersexuellen.8 Die im Buch verwendeten männlichen Bezeichnungen wurden lediglich zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit gewählt. Dr. Hans-Peter Welte 7 Vgl. OVG Bautzen, Beschl. v. 14.02.2023 – 3 E 2/23, InfAuslR 2023, 347. 8 Biologisch weder als Mann noch als Frau einzustufen.

I I. F achkräfteeinwanderungsgesetz 1. Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes..... 28 2. G esetzesziele....................................................................... 28 2.1 Einreise und Aufenthalt zu Arbeits- und Ausbildungszwecken.......................................................... 28 2.2 Deckung des Fachkräftebedarfs........................................ 32 3. Wesentliche Neuerungen durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz...................................... 34 3.1 Effizientere und transparentere Verwaltungsverfahren. 34 3.2 Neuer Fachkräftebegriff. ................................................... 35 3.3 Wegfall der Vorrangprüfung............................................. 35 3.4 Wegfall der Begrenzung auf Mangelberufe bei qualifizierter Berufsausbildung......................................... 36 3.5 Möglichkeit für Fachkräfte zur Arbeitsplatzsuche........... 36 3.6 Möglichkeiten zum Aufenthalt für Qualifizierungsmaßnahmen mit dem Ziel der Anerkennung von beruflichen Qualifikationen............... 37 4. Rechtsänderungen/Neuregelungen.................................. 37 4.1 R echtsänderungen.............................................................. 37 4.2 Neuregelungen – neue Begriffsbestimmungen............... 39 5. Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung........... 40

I. Fachkräfteeinwanderungsgesetz 28 www.WALHALLA.de I I. Fachkräfteeinwanderungsgesetz 1. Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes Der Deutsche Bundestag hat am 7.6.2019 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15.8.2019 (BGBl. I S. 1307), das in das Gesetzespaket zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung von Migration (Migrationspaket) eingebunden wurde, verabschiedet. Diesem Regelwerk hat der Bundesrat am 28.6.2019 zugestimmt.9 Nach Art. 54 Abs. 1 Satz 1 tritt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in wesentlichen Teilen, die das Aufenthaltsrecht betreffen, am 1.3.2020 in Kraft. 2. Gesetzesziele 2.1 Einreise und Aufenthalt zu Arbeits- und Ausbildungszwecken Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll klar und verständlich geregelt werden, wer zu Arbeits- und Ausbildungszwecken nach Deutschland kommen darf. Ausschlaggebend ist der Bedarf der Wirtschaft an Fachkräften mit Hochschulabschluss sowie Fachkräften mit einer qualifizierten Berufsausbildung (§ 2 Abs. 12a AufenthG, zum Begriff), die eine qualifizierte Beschäftigung ausüben können (§ 2 Abs. 12b AufenthG, zum Begriff). Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollen die bestehenden Regelungen gezielt geöffnet sowie klarer und transparenter gestaltet werden. Der Schwerpunkt wird dabei auf der Gewinnung von Fachkräften mit qualifizierter Berufsausbildung liegen.10 Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz werden die Möglichkeiten ▪▪ zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus dem Ausland zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit i. S. v. § 2 Abs. 2 AufenthG, ▪▪ zur Arbeitsplatzsuche für Fachkräfte in einem gesteuerten Verfahren (vgl. § 20 AufenthG) weiter ausgebaut und 9 Dazu Klaus, Fachkräfteeinwanderung – mit Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz? NJOZ 2019, 753. 10 Auszug aus Abschn. II Nr. 3.1 der Fachkräftestrategie der Bundesregierung v. 20.12.2018, BT-Drucks. 19/6889, S. 6; dazu Welte, Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz – Überblick, InfAuslR 2019, 365.

2. Gesetzesziele 29 www.WALHALLA.de I ▪▪ das Einreiseverfahren für diese Fälle verbessert und transparenter gemacht (vgl. § 81a AufenthG, zum beschleunigten Fachkräfteverfahren). Ausländern, die über die erforderlichen beruflichen Qualifikationen verfügen und die Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland beabsichtigen, ist somit der Weg über die gesteuerte Zuwanderung eröffnet. Zudem bietet die mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz neu geschaffene Möglichkeit der Arbeitsplatzsuche (§ 20 AufenthG) auch den Ausländern eine Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden, die aufgrund der räumlichen Entfernung des Heimatstaates Schwierigkeiten haben, von dort mit hiesigen Arbeitgebern in Kontakt zu treten. Daher schafft das Fachkräfteeinwanderungsgesetz11 – in rechtlicher Abgrenzung zum Asylrecht12 und der Aufenthaltsgewährung aus humanitären Gründen nach §§ 22 ff. AufenthG – den Rahmen für eine gezielte und gesteigerte Zuwanderung von (qualifizierten) 11 ECKPUNKTE der Bundesregierung zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten v. 2.10.2018: „Mit einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz regeln wir klar und verständlich, wer zu Arbeits- und Ausbildungszwecken zu uns kommen darf und wer nicht. Wir setzen am Fachkräftebedarf unserer Wirtschaft an und werden die bestehenden Regelungen gezielt öffnen sowie klarer und transparenter gestalten. Den Fokus legen wir auf den Bedarf an Fachkräften mit qualifizierter Berufsausbildung. Wichtig bleibt, dass wir grundsätzlich an der Gleichwertigkeitsprüfung der Qualifikationen festhalten, um sicherzustellen, dass sich die Fachkräfte langfristig in den Arbeitsmarkt integrieren. Auch die Prüfung der Arbeitsbedingungen durch die Bundesagentur für Arbeit bleibt bestehen. Eine Zuwanderung in die Sozialsysteme werden wir verhindern.“ 12 ECKPUNKTE der Bundesregierung zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten v. 2.10.2018: „Am Grundsatz der Trennung von Asyl und Erwerbsmigration halten wir fest. Wir werden im Aufenthaltsrecht klare Kriterien für einen verlässlichen Status Geduldeter definieren, die durch ihre Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt sichern und gut integriert sind. Darüber hinaus werden wir uns verstärkt dafür einsetzen, dass mehr Personen eine qualifizierte Ausbildung absolvieren. … Dazu gehören auch, die Potenziale der Personen mit Fluchthintergrund, die eine Beschäftigung infolge ihres Aufenthaltsstatus ausüben dürfen, für unseren Arbeitsmarkt zu nutzen. …“

I. Fachkräfteeinwanderungsgesetz 30 www.WALHALLA.de I Fachkräften (§ 18 Abs. 3 AufenthG, zum Begriff) aus Drittstaaten.13 Das Gesetz hat zum Ziel, dass diejenigen Fachkräfte ein Aufenthaltsrecht erlangen können, die Unternehmen in Deutschland vor dem Hintergrund des großen Personalbedarfs und leerer Bewerbermärkte dringend benötigen. Das sind Hochschulabsolventinnen und -absolventen sowie Personen mit qualifizierter Berufsausbildung, die in einem geordneten und bedarfsgerechten Verfahren zur Erwerbsmigration einwandern können.14 Ziel des Gesetzes ist es daher, die Bedarfe des Wirtschaftsstandortes Deutschland und die Fachkräftesicherung durch eine gezielte und gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten zu flankieren und so einen Beitrag zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wohlstand zu leisten. Im Rahmen der migrationspolitischen Gesamtstrategie wird die Fachkräftezuwanderung eingebunden in eine ausgewogene Balance zwischen der herausgeforderten Integrationsfähigkeit der Gesellschaft und dem wirtschaftlichen Interesse an Zuwanderung von Fachkräften. Zur Migrationssteuerung gilt es klar und transparent zu regeln, wer zu Arbeits- und Ausbil13 Vgl. Kluth, Der Migrationspakt und seine Leitlinien für die bessere Ordnung und Ermöglichung der Fachkräftemigration, ZAR 2019, 125. Das dem Aufenthaltsgesetz innewohnende Prinzip der „Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ durch geeignete Kontrollmechanismen deckt sich mit dem am 10.12.2018 beschlossenen UN-Migrationspakt, der keinen völkerrechtlichen Vertrag darstellt, unverbindlich ist und keine unmittelbaren Rechtswirkungen in den unterzeichneten Staaten erzeugt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.12.2018 – 2 BvQ 119/18, InfAuslR 2019, 77). So Crépeau zum Thema menschenrechtliche Perspektiven für die Entwicklung des Migrationsrechts: „Dabei spricht er sich ebenso wie der Global Compact – das ist der von den Vereinten Nationen vorgestellte Erste Entwurf für einen ,Global Compact on Safe, Orderly and Regular Migration‘ – weder für einen Verzicht auf Kontrollen noch auf eine Begrenzung der Migration aus. Wichtig sei vor allem, dass es einen fairen und offenen Rahmen gibt, den jeder, der Interesse an einer Migration hat, diskriminierungsfrei in Anspruch nehmen kann. Auch im Rahmen der Fluchtmigration, die hält Crépeau eine durch Kontingente gesteuerte Lösung für sinnvoller, da anderenfalls staatliche und internationale Steuerung keine Wirkung entfalten könne. Eine Schließung von Grenzen mit Gewalt sei keine Lösung, die demokratische Gesellschaften auf Dauer durchhalten könnten.“ (vgl. http://kluth.jura.uni-halle.de/; zuletzt geöffnet: 27.8.2019). 14 Zur Problematik vgl. Kluth, Einwanderungsgesetz – Entwürfe – Chancen – Kritik, NVwZ 2018, 1437.

2. Gesetzesziele 31 www.WALHALLA.de I dungszwecken nach Deutschland kommen darf.15 Der Grundsatz der Trennung zwischen Asyl und Erwerbsmigration wird beibehalten.16 Für eine gezielte und gesteuerte Steigerung der Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten bedarf es eines kohärenten Gesamtansatzes ineinander greifender und aufeinander abgestimmter Maßnahmen. Daher hat die Bundesregierung am 2.10.2018 Eckpunkte zur Einwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten beschlossen, ohne jedoch einem „Punktesystem“ den Weg zu öffnen.17 Danach wird das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das den rechtlichen Rahmen für eine gezielte, an den Bedarfen orientierte Steuerung und Stärkung der Fachkräfteeinwanderung schafft, notwendig ergänzt durch Beschleunigungen bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse, eine verstärkte Förderung des Erwerbs der deutschen Sprache im Ausland, eine gemeinsam mit der Wirtschaft zu erarbeitende Strategie für eine gezielte Fachkräftegewinnung und ein verbessertes Marketing sowie effizientere und transparentere Verwaltungsverfahren. Dabei ist sich die Bundesregierung der internationalen Prinzipien für eine ethisch verantwortbare Gewinnung von Fachkräften bewusst, sie berücksichtigt diese und wird positive Effekte (z. B. Kapazitätsausbau, Stärkung lokaler wirtschaftlicher Entwicklung) fördern.18 15 Dazu Berlit, Migration und ihre Folgen – Wie kann das Recht Zuwanderung und Integration in Gesellschaft, Arbeitsmarkt und Sozialordnung steuern? (Teil 1), ZAR 2018, 229; Thym, Migrationssteuerung im Einklang mit den Menschenrechten – Anmerkungen zu den migrationspolitischen Diskursen der Gegenwart, ZAR 2018, 193; Bünte/Knödler, Einwanderungsgesetz: Plädoyer für weitere Ausdifferenzierung, ZRP 2018, 102. 16 Vgl. BT-Drucks. 19/8285 v. 13.3.2019, S. 1; zur Trennung der Regelungsbereiche im Unionsrecht vgl. Art. 78 und 79 AEUV. 17 Auszug aus www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/DE/themen/migration/fachkraefteeinwanderung/faqs-fachkraefteeinwanderungsgesetz.html;jsessionid=6C1F82007166EE1F0E315D4FD5B7BB15.1_cid373 (zuletzt aufgerufen: 29.2.2024): Ein Punktesystem bedeutet lange Auswahlprozesse und neue Bürokratie; es ist das Gegenteil von Vereinfachung. Für eine tatsächliche Steigerung der Fachkräfteeinwanderung kommt es vielmehr auf eine gezielte Vermittlung in den hiesigen Arbeitsmarkt und eine verstärkte Sprachförderung im Ausland an. Die vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Bedarfs notwendigen Öffnungen für Fachkräfte mit einer qualifizierten Berufsausbildung schafft das Fachkräfteeinwanderungsgesetz; dazu Kolb/Lehner, Aus der Zeit gefallen: Warum ein Punktesystem kaum mehr Platz im deutschen Erwerbsmigrationsrecht hat, NVwZ 2018, 1181. 18 Vgl. BT-Drucks. 19/8285 v. 13.3.2019, S. 2.

I. Fachkräfteeinwanderungsgesetz 32 www.WALHALLA.de I 2.2 Deckung des Fachkräftebedarfs In Deutschland herrscht in manchen Branchen und Regionen bereits ein Fachkräftemangel, etwa im IT- und im Pflegebereich oder auch in ländlichen Gegenden. Die Arbeitgeber drängen deswegen darauf, mehr Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften zuzulassen. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Schluss, dass der deutsche Arbeitsmarkt bis 2060 jährlich rund 260.000 Zuwanderer brauche. Grund ist der demografisch bedingte Rückgang der Beschäftigten. Die Experten gehen dabei von rund 146.000 nötigen Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten aus. Auf diese Gruppe zielt das Gesetz ab.19 Laut Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit liegt in Deutschland derzeit zwar kein umfassender Fachkräftemangel vor; allerdings treten in Bezug auf bestimmte Qualifikationen, Regionen und Branchen deutliche Fachkräfteengpässe auf. Hierzu zählen vor dem Hintergrund des demografischen und digitalen Wandels insbesondere Gesundheits- und Pflegeberufe, das Handwerk und einzelne technische Berufsfelder. Im Vergleich zur letzten Engpassanalyse vom Dezember 2017 erhöhten sich in den meisten Engpassberufen außerdem die Vakanzzeiten. Hinzu kommen große regionale Unterschiede. So sind beispielsweise die ostdeutschen Länder schon deutlich früher mit starken Rückgängen im Erwerbspersonenpotenzial konfrontiert. Im Jahr 2018 konnte hier jeder zweite Betrieb nicht oder nur teilweise seinen Bedarf an Fachkräften decken. Für die Zukunft bekräftigt das Fachkräftemonitoring des BMAS eine zunehmende Fachkräfteknappheit in einzelnen Branchen für die kommenden zehn bis zwanzig Jahre. Übereinstimmend mit der Engpassanalyse werden auch künftig die Gesundheits- und Pflegeberufe, einzelne Handwerksberufe und einige technische Berufsfelder von Fachkräfteknappheit betroffen sein. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass Digitalisierung und technischer Fortschritt in anderen Bereichen zu Beschäftigungsabbau führen könnten. Beispielsweise werden in den Bereichen Einzelhandel, Textilverarbeitung sowie Rechnungswesen und Controlling weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, als Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt sind. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass diese Fachkräfte von Erwerbslosigkeit betroffen sind, wenn sich entsprechend 19 www.domradio.de/themen/kirche-und-politik/2019-02-15/fragen-undantworten-zum-geplanten-einwanderungsgesetz (zuletzt aufgerufen: 29.2.2024).

2. Gesetzesziele 33 www.WALHALLA.de I qualifizierte Einsatzmöglichkeiten in verwandten Tätigkeitsfeldern ergeben. Zudem werden im Zuge des Strukturwandels auch neue Arbeitsplätze entstehen. So wird sich beispielsweise der bereits länger zu beobachtende Trend neuer Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen wahrscheinlich auch in Zukunft fortsetzen.20 Fachkräfte aus anderen EU-Mitgliedstaaten leisten schon heute einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Der robuste deutsche Arbeitsmarkt zieht viele Arbeitskräfte an, die von der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union Gebrauch machen. Mit rund 20 Prozent der Fachkräfte bzw. 2,5 Millionen mobilen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in 2017 ist Deutschland eines der Hauptzielländer innerhalb der EU. Hinzu kommen etwa 190.000 Grenzgänger, die aus den unterschiedlichen Anrainerstaaten zu ihrem Arbeitsplatz nach Deutschland pendeln. Diese Zuwanderung aus der EU trägt bereits heute zu einer Verbesserung der Fachkräftesituation bei. Sie sorgt dafür, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Deutschland entgegen den natürlichen Veränderungen durch die Geburtenentwicklung der Vergangenheit weniger stark abnimmt. Damit tragen Fachkräfte aus EU-Mitgliedstaaten durch ihre Mobilität und ihre Qualifikationen nicht zuletzt auch zur Entlastung unserer sozialen Sicherungssysteme bei. Allerdings sind die Wanderungsströme innerhalb Europas auch in hohem Maße volatil. So könnte sich die positive Zuwanderung bei Veränderungen der Wirtschaftslage in den EU-Mitgliedstaaten, aber auch bei einer verringerten Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland schnell verändern. Zudem nehmen mittelfristig die Potenziale für die Zuwanderung aus anderen Ländern der Europäischen Union ab. Dort greift ebenfalls der demografische Wandel, so dass die Anzahl junger Erwachsener, die das europäische Wanderungsgeschehen zu einem großen Teil ausmachen, merklich zurückgehen könnte. Für die Fachkräftepolitik Deutschlands ergeben sich daraus vornehmlich zwei Ziele. Erstens muss der Arbeitsstandort Deutschland für Fachkräfte aus dem europäischen Ausland und ihre Familien attraktiv bleiben. Dies soll auch durch gezielte Informations- und Beratungsangebote in anderen Mitgliedstaaten flankiert werden. Zweitens müssen die vorhandenen Potenziale derer, die als qualifizierte Fachkräfte nach Deutsch20 Auszug aus Abschn. II der Fachkräftestrategie der Bundesregierung v. 20.12.2018, BT-Drucks. 19/6889, S. 2.

I. Fachkräfteeinwanderungsgesetz 34 www.WALHALLA.de I land kommen, noch besser ausgeschöpft werden. Damit ist nicht der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt und die Vermittlung sowie Förderung europäischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeint. Diese Aspekte sind durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit, ein etabliertes Netzwerk der öffentlichen Arbeitsverwaltungen in den EU-Mitgliedstaaten und das EURES-Netzwerk umfassend geregelt.21 3. Wesentliche Neuerungen durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz 3.1 Effizientere und transparentere Verwaltungsverfahren Moderne und effiziente Verwaltungsverfahren tragen zur schnellen Gewinnung von Fachkräften bei und sind Ausdruck der Willkommenskultur. Die Anregungen aus der Praxis zu Verbesserungen bei Kommunikation, Verfahrensdauer und Erreichbarkeit der Behörden greift der Bund auf, mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zwischen Visastellen, Ausländerbehörden, Arbeitsverwaltung, zuständigen Stellen für die Anerkennung beruflicher Qualifikationen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu prüfen, um sie effizienter, transparenter und zukunftsorientiert zu gestalten.22 Um die Verwaltungsverfahren effizienter und serviceorientierter zu gestalten, soll die ausländerbehördliche Zuständigkeit für die Einreise von Fachkräften bei zentralen Stellen (Kompetenzzentren) konzentriert werden (§ 71 Abs. 1 Satz 5, § 81a AufenthG).23 Für schnellere Verfahren wird ein beschleunigtes Fachkräfteverfahren geschaffen (§ 31a AufenthV).24 Für die Inanspruchnahme des Verfahrens wird ein neuer Gebührentatbestand in § 47 Abs. 1 Nr. 15 AufenthV geschaffen; die Gebühr für die Durchführung des beschleunigten Fachkräfteverfahrens nach § 81a AufenthG beträgt 411 Euro.25 21 Auszug aus Abschn. II Nr. 2 der Fachkräftestrategie der Bundesregierung v. 20.12.2018, BT-Drucks. 19/6889, S. 5. 22 Auszug aus Abschn. II Nr. 3.5 der Fachkräftestrategie der Bundesregierung v. 20.12.2018, BT-Drucks. 19/6889, S. 7. 23 Dazu Klaus/Mävers/Offer, „So geht Einwanderungsland“: Zentralisierung, Automatisierung, Konsolidierung und Harmonisierung, ZRP 2018, 197. 24 Vgl. BT-Drucks. 19/8285 v. 13.3.2019, S. 2. 25 Dazu Hammer/Klaus, Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG): Signal mit Fragezeichen oder echter Quantensprung?, ZAR 2019, 138, für jedes Individualverfahren 411 Euro.

3. Wesentliche Neuerungen durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz 35 www.WALHALLA.de I 3.2 Neuer Fachkräftebegriff Von zentraler Bedeutung im Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist die Deckung des wirtschaftlichen Bedarfs an qualifizierten Fachkräften durch Drittstaatsangehörige. Diese werden zentral und erstmals einheitlich definiert als ▪▪ Fachkräfte mit Berufsausbildung (§ 18a AufenthG) und ▪▪ Fachkräfte mit akademischer Ausbildung (§ 18b AufenthG). Normiert wird ein einheitlicher Fachkräftebegriff in Bezug auf Hochschulabsolventen und Beschäftigte mit qualifizierter Berufsausbildung (§ 2 Abs. 12a AufenthG, zum Begriff). Diesen Fachkräften kann nach §§ 18a und 18b AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis für eine qualifizierte Beschäftigung (§ 2 Abs. 12b AufenthG, zum Begriff) erteilt werden, wenn sie 1. eine inländische qualifizierte Berufsausbildung (§ 2 Abs. 12a AufenthG, zum Begriff) oder gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG eine mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung gleichwertige ausländische Berufsqualifikation besitzen (Fachkräfte mit Berufsausbildung nach § 18a AufenthG) oder 2. einen deutschen Hochschulabschluss oder gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG einen anerkannten ausländischen oder einen einem inländischen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss haben (Fachkräfte mit akademischer Ausbildung nach § 18b AufenthG). 3.3 Wegfall der Vorrangprüfung Nach § 39 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wird bei qualifizierten Fachkräften eine Vorrangprüfung der BA nicht durchgeführt, es sei denn, in der Beschäftigungsverordnung ist etwas anderes bestimmt. Der Wegfall der Vorrangprüfung gemäß § 39 Abs. 2 Satz 2 AufenthG betrifft ausländische Fachkräfte, bei denen zumindest die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Nr. 1 und 4 AufenthG (z. B. anerkannte Qualifikation und Arbeitsvertrag) vorliegen. Angesichts der noch guten Arbeitsmarktlage wird die Vorrangprüfung für eine qualifizierte Beschäftigung (§ 2 Abs. 12b AufenthG, zum Begriff) aufgehoben, sie gilt jedoch weiter für den Zugang zur Berufsausbildung. Damit muss – im Gegensatz zu den in § 39 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG genannten Fällen – nicht mehr vor jeder Einstellung einer

I. Fachkräfteeinwanderungsgesetz 36 www.WALHALLA.de I Fachkraft aus einem Drittstaat festgestellt werden, ob Deutsche, Unionsbürger oder diesen gleichgestellte ausländische Bewerber zur Verfügung stehen. Der Vorrangprüfung durch die BA unterfällt die Beschäftigung eines Ausländers unabhängig von seiner Qualifikation als Fachkraft nach § 39 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG, soweit diese Prüfung durch die Beschäftigungsverordnung oder durch Gesetz vorgesehen ist. Gleiches gilt nach § 39 Abs. 6 AufenthG in Bezug auf die Erteilung einer Arbeitserlaubnis zum Zweck der Saisonbeschäftigung. und zur kurzzeitigen kontingierten Beschäftigung. Hinweis: Bei Ausländern mit Duldung oder Aufenthaltsgestattung ist – mit Ausnahme der in § 32 Abs. 2 und 3 BeschV genannten Fälle – eine Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung der BA erforderlich, die ohne Vorrangprüfung erteilt wird. 3.4 W egfall der Begrenzung auf Mangelberufe bei qualifizierter Berufsausbildung Wenn ein Arbeitsvertrag und eine anerkannte Qualifikation vorliegen, können Fachkräfte in allen Berufen, zu denen sie ihre Qualifikation befähigt, arbeiten. Die bisherige Beschränkung auf die Engpassbetrachtung in Bezug auf Mangelberufe entfällt. 3.5 Möglichkeit für Fachkräfte zur Arbeitsplatzsuche Die Möglichkeiten des Aufenthalts zur Arbeitsplatzsuche für Fachkräfte werden in einer Norm zusammengefasst (§ 20 AufenthG). Für Fachkräfte mit qualifizierter Berufsausbildung i. S. v. § 2 Abs. 12a AufenthG wird entsprechend der bestehenden Regelung für Hochschulabsolventen (vgl. § 18c AufenthG a. F.) die Möglichkeit eingeräumt, für bis zu sechs Monate zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland zu kommen (Voraussetzung: deutsche Sprachkenntnisse und Lebensunterhaltssicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Die Regelungen zur Ausbildungs- und zur Arbeitsplatzsuche für Fachkräfte mit Berufsausbildung nach § 20 Abs. 1 AufenthG werden mit Ablauf des 1.3.2025 außer Kraft treten, wobei zuvor getroffene Maßnahmen wirksam bleiben (Art. 54 Abs. 2 Fachkräfteeinwanderungsgesetz, zum Außerkrafttreten).

4. Rechtsänderungen/Neuregelungen 37 www.WALHALLA.de I Die Erteilung eines nationalen Visums zum Zweck der Suche eines Ausbildungs- oder Studienplatzes nach § 17 AufenthG oder der Arbeitsplatzsuche nach § 20 Abs. 1 bis 3 AufenthG wie auch zur Ausbildung oder Beschäftigung selbst setzt voraus, dass der Ausländer gemäß § 82 Abs. 1 AufenthG nachweist, dass er während seines Aufenthalts seinen Lebensunterhalt und ggf. den seiner mitreisenden Familienangehörigen sichern kann (§ 20 Abs. 4 Satz 1 bzw. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). 3.6 Möglichkeiten zum Aufenthalt für Qualifizierungsmaßnahmen mit dem Ziel der Anerkennung von beruflichen Qualifikationen Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz stellt grundsätzlich darauf ab, dass vor der Einreise der ausländische Ausbildungs- und Berufsabschluss des Ausländers im sogenannten Anerkennungsverfahren auf seine Gleichwertigkeit geprüft und diese ggf. festgestellt wird (vgl. § 18 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG). Bei Vorliegen eines als gleichwertig anerkannten ausländischen Abschlusses werden verbesserte Möglichkeiten zum Aufenthalt für Qualifizierungsmaßnahmen im Inland mit dem Ziel der Anerkennung von beruflichen Qualifikationen (§ 16d Abs. 3 AufenthG) in Kombination mit Verfahrensvereinfachungen durch eine Bündelung der Zuständigkeiten bei zentralen Ausländerbehörden und beschleunigte Verfahren für Fachkräfte geschaffen (§ 81a AufenthG; § 14a BQFG). Der Aufenthalt zu ergänzenden Qualifizierungsmaßnahmen für Drittstaatsangehörige mit im Ausland abgeschlossener Berufsausbildung im Rahmen der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen wird erweitert und attraktiver gestaltet und unter Einbindung der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine begrenzte Möglichkeit geschaffen, unter bestimmten Voraussetzungen die Anerkennung erst in Deutschland durchzuführen. 4. Rechtsänderungen/Neuregelungen 4.1 Rechtsänderungen Um die Gesetzesziele zu verwirklichen, werden insbesondere die Vorschriften des dritten Abschnitts – Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung – und vierten Abschnitts – Aufenthalt zum Zweck der Er-

I. Fachkräfteeinwanderungsgesetz 38 www.WALHALLA.de I werbstätigkeit – des Aufenthaltsgesetzes gänzlich neu strukturiert und umfassend neu gefasst. Zudem wird die Beschäftigungsverordnung entsprechend angepasst. § 18 AufenthG enthält als Grundsatznorm in Absatz 2 auch allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, die grundsätzlich für alle Aufenthalte zum Zweck der Beschäftigung gelten, und hält in Absatz 2 Nr. 2 am Prinzip der Zustimmungspflicht der BA fest. Erstmals wird in § 18 Abs. 3 AufenthG ein einheitlicher Fachkräftebegriff eingeführt und in § 18 Abs. 4 AufenthG die Geltungsdauer der Aufenthaltstitel für Fachkräfte auf vier Jahre festgelegt. Falls das Arbeitsverhältnis kürzer ist oder die Zustimmung der BA auf einen kürzeren Zeitraum befristet ist, wird der Aufenthaltstitel für Fachkräfte entsprechend befristet. Die Regelungen über die Berufsausbildung werden in einer Norm (§ 16a AufenthG) zusammengefasst. Die bisher in verschiedenen Regelungen enthaltenen Möglichkeiten der Suche eines Studien- und Ausbildungsplatzes werden in einer Norm (§ 17 AufenthG, zur Suche eines Ausbildungs- oder Studienplatzes) zusammengefasst. Im Gesetz über die Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom 16.8.2023 ist die Suche einer Erwerbstätigkeit in den §§ 20 und 20a AufenthG neu geregelt worden; für die Suche vom Ausland aus kann die Chancenkarte nach § 20a AufenthG auf der Grundlage eines Punktesystems nach § 20b AufenthG erteilt werden. Der Nachweis der Lebensunterhaltssicherung wird für die Erteilung von Aufenthaltstiteln nach den §§ 16a bis 16c, 16e, 16f AufenthG sowie § 17 AufenthG pauschaliert (§ 2 Abs. 3 Sätze 5 und 6 AufenthG). Die Begünstigung nach § 2 Abs. 3 Satz 5 AufenthG gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16a bis 16c, 16e, 16f mit Ausnahme der Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen. In den Fällen der Berufsausbildung ausreisepflichtiger Ausländer nach § 16g Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 Satz 1 AufenthG gilt der Lebensunterhalt nach § 2 Abs. 3 Satz 5 AufenthG als gesichert, wenn der Ausländer über monatliche Mittel in Höhe des monatlichen Bedarfs, der nach § 12 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt wird, verfügt. Gleichzeitig werden die Regelungen über die Niederlassungserlaubnis für Fachkräfte zusammengefasst und die Voraussetzungen erleichtert (§ 18c AufenthG).

4. Rechtsänderungen/Neuregelungen 39 www.WALHALLA.de I Ablehnungsgründe für Aufenthalte, die auf unionsrechtlichen Richtlinien (z. B. REST-Richtlinie, ICT-Richtlinie, HochqualifiziertenRichtlinie) beruhen, werden weitestgehend in einer Norm (§ 19f AufenthG) zusammengeführt. Durch die Übertragung des Mitteilungsverfahrens zur (kurzfristigen) Mobilität auf das BAMF nach § 75 Nr. 5a AufenthG wird das diesbezügliche Verwaltungsverfahren insoweit entschlackt, als die Ausländerbehörde erst zuständig wird, wenn das BAMF die entsprechenden Mitteilungen nach § 16c Abs. 1, § 18e Abs. 1, § 19a Abs. 1 AufenthG geprüft, die Bescheinigungen nach § 16c Abs. 4, § 18e Abs. 5 und § 19a Abs. 4 AufenthG ausgestellt oder die Einreise und den Aufenthalt abgelehnt hat. Zudem werden eine Zuständigkeitskonzentration bei zentralen Ausländerbehörden für die Einreise von Fachkräften und ein beschleunigtes Fachkräfteverfahren geschaffen (§ 71 Abs. 1 Satz 5 und § 81a AufenthG). 4.2 Neuregelungen – neue Begriffsbestimmungen Aus Gründen der Rechtsklarheit wird die Definition der qualifizierten Berufsausbildung, die bislang in § 6 Abs. 1 Satz 2 BeschV enthalten war und nunmehr der Auslegung von Normen im Aufenthaltsgesetz dient, in den Katalog der Begriffsbestimmungen in § 2 AufenthG einbezogen (Abs. 12a). § 2 Abs. 12b AufenthG enthält eine Legaldefinition der qualifizierten Beschäftigung im Sinne des Aufenthaltsgesetzes. Dies dient der einheitlichen Handhabung der Normen in Kapitel 2 Abschnitt 4 des Aufenthaltsgesetzes (Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit). In Abgrenzung zu nicht qualifizierten Beschäftigungen liegt eine qualifizierte Beschäftigung vor, wenn die Art der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten üblicherweise von Personen mit Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten ausgeübt wird, die in einer (erfolgreichen) qualifizierten Berufsausbildung oder akademischen Ausbildung erworben werden. Dies umfasst sowohl berufsrecht-

I. Fachkräfteeinwanderungsgesetz 40 www.WALHALLA.de I lich reglementierte als auch nicht reglementierte Berufe.26 §§ 18a und 18b AufenthG setzen bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte die Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung i. S. v. § 2 Abs. 12b AufenthG voraus. In § 2 Abs. 12c AufenthG wird der Begriff der Bildungseinrichtung definiert. Er umfasst die Einrichtungen, die bei Aufenthalten nach Kapitel 2 Abschnitt 3 des Aufenthaltsgesetzes Ausbildungen (Berufsausbildung, betriebliche Weiterbildung, Studium und Studienvorbereitung, Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen, Schulbesuch, Sprachkurse) anbieten. Eine Bildungseinrichtung i. S. d. § 2 Abs. 12c AufenthG kann damit auch ein Betrieb sein, in dem z. B. betriebliche Aus- und Weiterbildungen oder rein betriebliche Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen durchgeführt werden. 5. W eiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung Das zum 1.3.2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz hatte zum Ziel, Erleichterungen für die Gewinnung von Fachkräften mit Berufsausbildung aus Drittstaaten zu schaffen. Ziel des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom. 16.8.2023 ist es, den Bedarfen des Wirtschaftsstandortes Deutschland entsprechend ein Signal des Willkommens und der Dienstleistung an Fachkräfte zu senden. Es soll in ein frühes Integrationsangebot investiert werden. Insbesondere sollen durch die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens für eine gezielte und gesteuerte Einwanderung aus Drittstaaten zusätzliche Fachkräfte gewonnen werden. Auf dem langfristig positiven Entwicklungspfad der Fach- und Arbeitskräfteeinwanderung aufbauend, gilt es, die Zahlen für die Erwerbseinwanderung deutlich zu steigern.27 Die At26 Reglementierte Berufe: In Deutschland gibt es „reglementierte Berufe“. In diesen Berufen dürfen Deutsche und Personen mit ausländischer Nationalität nur dann arbeiten, wenn sie eine ganz bestimmte Qualifikation besitzen. Das gilt z. B. für Ärzte, Lehrkräfte und Rechtsanwälte. Es gilt auch für bestimmte Meister im Handwerk, wenn sie als selbstständige Unternehmer tätig sind. Wenn der Ausländer in einem dieser reglementierten Berufe arbeiten möchte, dann benötigt er eine Anerkennung seines Berufsabschlusses in Deutschland. Die Internetseite „Reglementierte Berufe Datenbank" enthält eine Liste mit allen Berufen, die in Deutschland reglementiert sind. 27 Vgl. BT-Drucks. 20/6500 v. 24.4.2023, S. 2.

5. Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung 41 www.WALHALLA.de I traktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland für ausländische Fachkräfte ist dabei ein maßgebender Faktor. Mit dieser Weiterentwicklung wird die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte und ihrer Familienangehörigen aus Drittstaaten erleichtert und der anspruchsberechtige Personenkreis erweitert.28 Bedeutsame Neuerungen des Gesetzes sind: ▪▪ Einführung von Rechts- und Regelansprüchen ▪▪ Umsetzung der neuen Hochqualifizierten-Richtlinie (EU) 2021/1883 in nationales Recht. So wird die Blaue Karte EU, ein Aufenthaltstitel für akademische Fachkräfte aus Drittstaaten, neu konzipiert und die Verdienstgrenze für die Blaue Karte EU abgesenkt. ▪▪ Ausbildung und Beschäftigung von ehemals Geduldeten ▪▪ Einführung einer Chancenkarte, die auf einem Punktesystem basiert, zur Suche einer Erwerbstätigkeit; zu den Auswahlkriterien gehören Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und mitziehende Lebens- oder Ehepartner ▪▪ Schaffung der Möglichkeit, ohne Anerkennung des Berufsabschlusses nach Deutschland zu kommen, wenn mindestens zwei Jahre Berufserfahrung vorliegen ▪▪ Ausweitung des Familiennachzugs auf Eltern- und Schwiegerelternnachzug ▪▪ Fallbezogenes Absehen vom Wohnraumerfordernis 28 Vgl. Siegert, Das weiterentwickelte Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Auf Sand gebaut – Ohne „Wumms“ und Erfolgsaussicht, ZAR 2023, 246–255.

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